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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gleichmütig, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen.
    »Die Relais klicken.«
    »Das höre ich.«
    »Ja, aber sie klicken alle gleich.«
    »Das kommt Ihnen nur so vor, Signor Bulbo.«
    »Ich kann da nichts Unnormales feststellen.«
    »Deshalb hat man ja auch mich gerufen, Signor Bulbo, nicht wahr?«
    Der Kontrolleur grunzte etwas, das sich Nicos Verstän d nis entzog.
    Der Maschinenarzt setzte seine Untersuchung seelenruhig fort. Was er dabei fühlte, ist für jemanden, dem seine Beg a bung fehlt, schwer nachzuvollziehen. Nur wenige Me n schen sind in der Lage, richtig zuzuhören. Manche Taubheit ist anerzogen. Oft überschreien innere Stimmen immerfort die leisen Zwischentöne. Wer daran krankt, der hat zu lange zugehört, ohne nachzusinnen, was jeden Geist spröde macht. Dann hausen in den Sprüngen und Rissen, grauen Maden gleich, Vorurteile, die unablässig lärmen, während sie langsam das Urteilsvermögen ihres Wirts zerfressen. Obwohl noch jung, hatte Nico in seinem Leben zu viel g e sehen und gehört, um sein Denken auf Weniges zu b e schränken. Aber das allein mag als Grund nicht ausreichen, um seine Wahrnehmungen in diesem Moment zu erklären.
    Es glich einem Flüstern. Nichts, das man mit dem Ohr h ö ren konnte. Selbst die Berührung der Maschine diente nur der Verstärkung dessen, was er ohnehin in ihrer Nähe spü r te. Wie ein Blinder, der in sechs erhabenen Punkten einen Buchstaben erkennen und sich aus Hunderten solch winz i ger Hügel ein ganzes Universum erschließen kann, tauchte er in das Wesen der Maschine ein. Er las in ihren Erinn e rungen, hörte von ihren Sorgen und witterte den Hauch ihrer Zukunft. Der Leblosen Liebling hatte sich schon mit allen möglichen Apparaten ausgetauscht, aber keiner war bisher so geschwätzig gewesen wie diese Telefonvermit t lungsanlage. Irgendwie lag das wohl auch in ihrer Natur.
    Allmählich kam er der Ursache des Problems auf die Spur. Anscheinend hatte der »Krankheitsherd« eine Art Kettenreaktion ausgelöst und dadurch fast die ganze Anlage in einen Zustand der Schizophrenie gestürzt. Sie stand g e wissermaßen neben sich und sah sich dabei zu, wie sie wohlgewählte Telefonnummern in Zufallszahlen verwürfe l te. Einzelne Schaltkreise funktionierten noch. Als Nico mit Ring- und Mittelfinger einem von ihnen nachspürte, wurde das Flüstern lauter. Seine Hand zuckte zurück. Noch nie hatte er die Stimmen eines Apparats derart intensiv gehört. Schnell kehrten seine Fingerkuppen zu den beiden Konta k ten zurück.
    Unglaublich! Das waren richtige Worte. Doch er konnte ihre Bedeutung bestenfalls erahnen, das Gewisper war zu leise, um es deutlich zu verstehen. Hatte sich da eben j e mand von einem anderen verabschiedet? Plötzlich herrschte Stille in der Leitung. Vielleicht versuchte der Glückspilz es ja gleich noch mit einem zweiten Telefonat. Nico streckte dem Beamten die Hand entgegen, ohne den Blick von der bewussten Stelle zu nehmen.
    »Kann ich mal einen Hörer haben?«
    »Einen Hörer ?«
    »Ich habe mal in einem Magazin gelesen, dass es in so l chen Vermittlungszentralen Kopfhörer mit angebauten Mikrofonen gibt, die von Technikern zur Kontrolle der Le i tungen benutzt werden.«
    »In einem Magazin? Sind Sie sicher, dass Sie das Pro b lem in den Griff bekommen können, Signor Michel?«
    Endlich sah Nico den Beamten offen an. »Sind Sie sicher, dass Sie kein Papagei sind, Signor Bulbo?«
    »Nein … Ich meine: Ja! Da bin ich ziemlich sicher. Und ich werde ganz bestimmt nicht erlauben, dass Sie in i r gendwelche Gespräche hineinhören.«
    »Als ob die Geheimpolizei das nicht alle naselang täte.«
    »Was haben Sie da eben gemurmelt?«
    Nico deutete kurz hintereinander auf fünf oder sechs ve r schiedene Relais. »An diesen Stellen war kürzlich ein Hörer angeschlossen. Es ist frühestens vor vier Tagen gewesen, spätestens gestern Morgen, zumindest aber bevor das Netz anfing, verrückt zu spielen. Ich frage mich also, wozu j e mand da in die Leitungen gelauscht hat.«
    Bulbo wurde blass. »Das ist unmöglich!«
    »Ich versichere Ihnen, dass meine Diagnose stimmt.«
    Der Beamte schüttelte nervös den Kopf. »Nein, ich me i ne, selbst wenn es stimmen würde, wäre es unmöglich, dass Sie so etwas wissen können. Ich hab ja schon eine Menge von Ihrer Begabung gehört, aber das schlägt dem Fass den Boden aus.«
    Nico seufzte. »Da gibt es eine festgefressene Pumpe, die sehnsüchtig auf mich wartet, Signor Bulbo. Wie machen wir nun weiter? Soll ich den

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