Der Herr der Unruhe
Podestà fragen, warum man in seiner Gemeinde ein funktionierendes Telefonnetz abhören, aber ein zusammengebrochenes nicht anrühren darf?«
Der Leiter der Vermittlungsstelle starrte sein Gegenüber mit versteinerter Miene an. Nico hätte, gemessen an dem, wie sich Bulbo bisher aufgeführt hatte, eine andere Reakt i on erwartet, aber der Beamte wirkte eher unschlüssig als verängstigt. So wie jemand, der sich über die Folgen einer Drohung im Unklaren ist? Mit einem Mal wurde Nico klar, was da nicht stimmte, oder er glaubte es wenigstens: Ma s similiano Manzini wusste von der Lauschaktion. Vielleicht waren die Telefonate irgendwelcher ahnungsloser Bürger sogar auf seine Anordnung hin abgehört worden.
Nico streckte noch einmal die Hand aus und sagte ruhig, aber bestimmt: »Geben Sie mir einen Hörer, oder ich lasse Sie mit Ihrem Problem allein.«
Bulbo kapitulierte. Er schlurfte mit hängenden Schultern zu einem Stahlschrank, den er mit seinem Schlüsselbund öffnete, und kehrte bald mit der Hör-Sprech-Einheit zurück. »Da!«
»Danke.«
Um das Misstrauen des Beamten nicht weiter zu nähren, hielt Nico die zwei Steckerenden zunächst an verschiedene andere Kontakte, bevor er wieder die speziellen auswählte, die er sich gemerkt hatte. Nebenbei erhielt er mit dem A b lenkungsmanöver die Bestätigung für seine Vermutung im Hinblick auf die Lage des »Krankheitsherdes«. Durch das systematische Abhören weiterer Verbindungsstellen b e stimmte er rasch dessen Größe. Dann kehrte er endlich zu der flüsternden Leitung zurück. Klar und deutlich hörte er eine weibliche Stimme.
» … Botschaft des Deutschen Reiches in Rom. Guten Tag.«
»Hier spricht Mama«, sagte eine heisere, ihm nur allzu bekannte Männerstimme in holperigem Deutsch. Sie gehö r te niemand anderem als Massimiliano Manzini. »Bitte ve r binden Sie mich mit Amore.«
»Einen Moment bitte.«
Es klickte in der Leitung. Dann vernahm Nico eine andere Männerstimme.
»Ja?«
»Karl?«
»Non usate questo nome!«, zischte der Fremde: Benutzen Sie nicht diesen Namen!
»Ich muss dringend mit Ihnen ein paar Dinge abstimmen, Amore«, sagte Manzini nun ebenfalls auf Italienisch.
»Dann benutzen Sie gefälligst unseren ›Kummerkasten‹.«
»Die Sache duldet keinen Aufschub. Es geht um …«
»Kein Wort mehr!«, fiel der mit deutschem Akzent spr e chende Unbekannte Manzini erneut ins Wort.
»Ist ja schon gut. Ich rufe auf einer besonderen Leitung an. Das übrige Telefonnetz von Nettuno spielt verrückt.« Nico hörte ein Kichern. Und gleich darauf neben sich die erboste Stimme von Bulbo, dem Leiter der Vermittlung s stelle.
»Jetzt ist aber Schluss, Signor Michel! Ich sehe keine Notwenigkeit, dass Sie so lange in ein und denselben A n schluss hineinlauschen.«
Es mochte mit Nicos Benommenheit zusammenhängen, vielleicht auch mit dem Gefühl, ertappt worden zu sein, dass er beim energischen Einschreiten des Beamten z u sammenzuckte und dabei den Kontakt zur Leitung verlor. Was hatte das zu bedeuten? Der Podestà von Nettuno tel e fonierte mit der deutschen Botschaft in Rom, und er benut z te offenbar einen Decknamen: MAMA. Wenn man wusste, dass Massimiliano Manzini dahinter steckte, dann war di e ser Code geradezu kindisch. Ob es sich wohl mit amore, dem italienischen Wort für »Liebe«, ähnlich verhielt? Vie l leicht gab es in der Botschaft einen Attache, der Karl Liebe hieß. Aber was hatte Manzini mit diesem Karl »dringend abstimmen« wollen? In den letzten Monaten wurde immer häufiger von der Gefahr eines baldigen Kriegs gesprochen. Plante Hitler etwa nach der Einverleibung Österreichs im letzten und der Errichtung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren in diesem Jahr schon den nächsten Coup? Vie l leicht eine Annexion Tirols? Oder den Überfall …
»Ist das jetzt wieder einer Ihrer Beschwörungen, oder w a rum sagen Sie nichts?« Bulbo hatte sich vor Nico aufgebaut und sah ihn durchdringend an.
Der Gefragte fasste sich schnell. Er zog mit dem Zeig e finger einen Kreis im Relaisschrank. »Das da hat den Z u sammenbruch ausgelöst. Tauschen Sie ‘s alles aus. Oder kratzen Sie den Lack von den Kontakten.«
»Lack?«, japste der Beamte.
»Sie haben mich schon verstanden, Signor Bulbo. Jemand hat Ihre Vermittlungszentrale sabotiert, indem er ausg e wählte Relais mit einem transparenten Isoliermittel beha n delte. Sie wissen ja jetzt, was Sie zu tun haben. Guten Tag, Signor Bulbo.« Ohne dessen Erwiderung abzuwarten, ve r ließ
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