Der Herr der Unruhe
es voller Respekt, er sei »der Leblosen Liebling«.
Nico hätte sich viel mehr gewünscht, Lauras Liebster zu sein, aber ausgerechnet bei ihr biss er auf Granit. Sogar ihr Vater brachte seinem Doctor Mechanicae mehr Sympathie entgegen. Mit dem heißen Sommer des Jahres 1939 zog nämlich auch der junge Deutsche ins engere Umfeld der Manzinis ein. Fast wöchentlich forderte ihn Don Massim i liano nun für irgendwelche Reparaturen im heimischen P a lazzo an. Der junge Mechaniker folgte diesen außerdienstl i chen Hilferufen bereitwillig, hoffte er doch, auf diese We i se seinen beiden Zielen näher zu kommen. Er hörte bei se i nen Einsätzen jedoch nie ein Wort, noch sah er ein Dok u ment, das Manzini im Geringsten kompromittiert hätte. Vermutlich gab es ein striktes Verbot, irgendwelche Schriftstücke aus dem Arbeitszimmer im ersten Stock zu entfernen. Einmal hatte Nico gesehen, wie Laura aus dem Raum gekommen war und ihn sofort hinter sich abg e schlossen hatte. Ihr oblag ja das tägliche Aufziehen der »Lebensuhr«, wie Nico von Signora Pallotta, der Gemüs e frau, wusste. Das seinem ermordeten Vater abgenommene Beutestück bekam er indes nie zu sehen.
Glücklicherweise ließ sich dasselbe auch von der Hau s herrin sagen. Donna Genovefa weilte, wie ihr Mann verbreiten ließ, neuerdings in einem Sanatorium in der Schweiz. Den Rest überließ er der städtischen Gerüchtek ü che. Sollten die eidgenössischen Ärzte Genovefas U n fruchtbarkeit heilen? Oder ihr Gemüt? Oder war sie gar ihrem Mann davongelaufen? Niemand wusste es, aber alle sprachen darüber.
Nico trug schwer an der Ablehnung, die Laura ihn spüren ließ. So jedenfalls empfand er ihre Reserviertheit. Er kannte bald alle Hausangestellten des Podestà mit Vornamen, aber Laura bekam er nur selten zu Gesicht. Sie schien ihm aus dem Weg zu gehen. Manchmal ertappte er sie dabei, wie sie ihn aus dem Schatten eines Türsturzes oder von der Galerie des Lichthofes aus beobachtete. Doch sobald sie sich von ihm entdeckt wähnte, zog sie sich jedes Mal schnell zurück.
Gelegentlich kam es Nico so vor, als würde er nur unter Vorwänden in den Privatpalast des Stadtoberhauptes g e lockt. Ein überhitzter Kühlschrank oder ein nicht mehr wachzurüttelnder Essensaufzug mochten ja als Grund noch durchgehen, aber ein quietschendes Türgelenk? Zugegeben, es war ein extrem schauderhaftes Geräusch, für dessen B e schreibung man schon ein neues Wort erfinden müsste – gänsehäutig trifft es vielleicht noch am ehesten –, und a u ßerdem gehörte das Scharnier zu Manzinis launischem Lancia; Uberto Dell’Uomo hatte sich zuvor vergeblich um eine Beruhigung desselben bemüht. Einmal ließ der Podestà Nico mitten in der Nacht aus dem Bett holen, um eine sto t ternde Spieluhr zu therapieren. Wollte Don Massimiliano die Vertrauenswürdigkeit des jungen Stadtbediensteten auf die Probe stellen oder ihn aus irgendeinem Grund im Auge behalten? Was steckte hinter seinen manchmal schon pr o vokanten »Noteinsätzen«?
Am 4. August verwandelte sich das Telefonnetz der G e meinde in eine Art riesigen Spielautomaten. Die Mehrzahl der gewählten Verbindungen gingen in die Irre. Wer den gewünschten Teilnehmer tatsächlich an die Strippe bekam, hatte das große Los gezogen. Man vermutete die Ursache in der Vermittlungszentrale, die sich im alten Kommunalp a last von Nettuno befand. Ein ausgebildeter Fernmeldetec h niker war nicht greifbar, und wie hätte man einen anfordern sollen? Brieftauben fielen als Notlösung aus. So kam man auf Niklas Michel, der gerade im Nachbarbezirk einer fes t gelaufenen Pumpe Luft verschaffte. Kurzerhand wurde er per Amtsboten von Anzio nach Nettuno beordert.
Die Vermittlungsstelle war der ganze Stolz der Gemeinde, ein vollautomatisches Monstrum aus elektromechanischen Relais, das einen großen Raum im Erdgeschoss des Palazzo Comunale ausfüllte und dabei rasselte wie Dutzende Reihen gleichzeitig umfallender Dominosteine. Der Leiter des g e störten Wunderwerks, ein Beamter mit pomadisiertem Haar, Knollennase und Nickelbrille, überwachte misstra u isch jeden von Nicos Handgriffen.
Mit gewohntem Respekt näherte sich der Doctor Mech a nicae dem krankenden Organismus. Seine Hände strichen sanft über die schwarzen Schaltschränke und bald auch über deren lebhaft klickende Eingeweide. Dazu summte er ein leises Lied. Der Argwohn des Beamten stieg.
»Was soll das bringen?«, knurrte er.
»Ich horche meinen Patienten ab«, antwortete Nico
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