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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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getan, indem du sie zu mir schicktest und die Wehrmacht gleich hintendrein.«
    »Aber …« Mit einem Mal klang Brunos Stimme panisch. »Ich
    dachte … das Kommando hätte dich längst abgeholt. Laura sollte 439
    vor verschlossenen Toren stehen. Sie sollte sehen, dass auf dich kein Verlass ist. Dann hätte sie sich vielleicht endlich für den Richtigen entschieden.«
    »Du meinst für dich, Bruno Sacchi?« Die laute, von Verachtung triefende Antwort kam nicht von Nico.
    »Laura?«
    »Ja. Sag bloß, du hast mich vorher nicht erkannt.«
    »Nein!«, stieß Bruno hervor. »Da war nur ein Flüstern …
    Das … O Gott! Was habe ich getan?«
    Nico ließ das Kinn auf die Brust sinken und schüttelte den Kopf. Der Hass, den er gerade noch gespürt hatte, war einer tiefen Traurigkeit gewichen. »Du hast die Menschen, die dir einmal etwas bedeutet haben, ans Messer geliefert, Bruno.«
    Erst jetzt bemerkte Nico das Scharren weiterer Füße aus dem Hintergrund. Offenbar hatten die Deutschen noch mehr Gefangene gemacht.
    »Wer ist da?«, fragte Laura.
    Eine andere Frau antwortete: »Die übrigen Delinquenten.«
    »Seid ihr auch Partisanen?«
    »Ja. Zumindest waren wir es, bis unser verliebter Anführer die Wehrmacht in unser Lager geführt hat.«
    »Das war ohne Absicht«, beteuerte Bruno.
    Die Antwort aus der Dunkelheit kam postwendend. »Mag sein, Genosse Sacchi. Aber trotzdem wirst du die Schuld an unser aller Tod mit ins Grab nehmen.«

    Oberst Kaltenreutter wollte es sich nicht nehmen lassen, dem Massaker persönlich beizuwohnen. Gemeinsam mit Feldwebel
    Hurz führte er das Erschießungskommando an. Der Weg vom
    Hafen war kurz. Man wollte Laura, Nico, Bruno und die vierundzwanzig übrigen Partisanen am Strand bei Neros Villa erschie-
    ßen, nur einen Steinwurf von den Grotte di Nerone entfernt. Dort hinein sollten die Leichen geworfen werden.
    Er habe, gestand Kaltenreutter, im Hinblick auf den Umgang mit rebellischen Gegnern, von dem alten Kaiser Nero eine Menge 440
    gelernt. Mit dem Ort der Hinrichtung verbinde sich auf wunderbare Weise die Antike mit dem Morgengrauen des Tausendjährigen Reiches. Laura hatte ihm für diese Bemerkung ins Gesicht gespuckt.
    »Prägen Sie sich den 21. Januar 1944 gut ein, Fräulein«,
    knurrte sie derselbe Oberst an, der schon am vorangegangenen Abend so wenig das unterirdische Feuerwerk im Haus ihres Vaters genossen hatte. »Der heutige Freitag wird nach Ihrer Geburt das wichtigste Datum in Ihrem Leben sein – man stirbt schließ-
    lich nur einmal.«
    Ganz der beherrschte Truppenführer, wischte er sich den Speichel von der Wange und übertrug Feldwebel Hurz die weiteren Vorbereitungen der standrechtlichen Erschießung.
    Die Gefangenen brachen gegen sechs Uhr dreißig am Lager-
    haus auf. Die Sonne würde erst in etwas mehr als einer Stunde aufgehen. Die Männer der Militäreskorte wirkten ungewöhnlich nervös. Nico fiel auf, wie ein Soldat auf ihn deutete und einem anderen etwas zuflüsterte. Hatte sich die Legende vom Walzenbändiger, dem Doctor Mechanicae und Liebling der leblosen Dinge – zu denen bekanntlich auch Gewehre gehörten – etwa schon bis zu den Besatzern herumgesprochen? Fürchteten sie unliebsame Überraschungen?
    In der evakuierten Stadt gab es niemanden, der den letzten Marsch der Delinquenten begleitete, der ihnen Mut zusprach oder wenigstens für sie eine Träne vergoss. Manche Partisanen konnten vor Angst kaum laufen. Einem jungen Mann namens Nuzio lief es feucht die Beine hinab. Er wurde von einem Kameraden gestützt, weil jeder Zurückbleibende mit seiner sofortigen Erschießung rechnen musste.
    Nico und Laura hielten sich gegenseitig fest. Während er im Stillen mit sich haderte, schien sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben.
    »Ich bin froh, dass ich in dieser Stunde bei dir sein kann, Nico.«
    Sein Atem flatterte, als er tief Luft holte und seine ganze 441
    Verzweiflung vor ihr ausschüttete. »Aber du hast etwas Besseres verdient, Laura, als an meiner Seite erschossen zu werden. Du und ich, das konnte nicht funktionieren. Ich hätte mich in die Wahrheit fügen sollen, anstatt auf ein Wunder zu hoffen.«
    »Du meinst, wie Wasser, das den Berg hinauffließt?«
    Er presste die Lippen zusammen.
    »Das hat ein Verräter gesagt, Nico. Glaubst du Bruno immer noch?«
    »Er war einmal mein bester Freund.«
    »Und was bin ich?«
    Seine Hand zog sie noch dichter an ihn heran. »Du bist die große Liebe meines Lebens.«
    Ihr Kopf neigte sich gegen seine

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