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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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erst einmal im Arbeitszimmer war, würde er seine Begabung ohnehin auf eine harte Probe stellen müssen.
    Er drehte den Dietrich entgegen dem Uhrzeigersinn und
    drückte die Klinke nieder. Die schwere Tür schwang knarrend auf. Auch nachdem er ins Zimmer gehuscht war, ließ er sie angelehnt. Mit zitternder Hand schaltete er die Deckenbeleuchtung ein. »Du bist kein Dieb«, murmelte er. Auf dem Weg zum Tresor zog er hinten das Hemd aus der Hose.
    Nico gestattete sich einen erleichterten Seufzer, als er endlich den rauen Jutesack vom Rücken ziehen konnte. Er hatte zu Hause nicht einmal ansatzweise geahnt, welche Qualen ihm das zu einem flachen Rechteck gefaltete Sacktuch bereiten würde. Das Holzpaneel in der Säule war ungesichert. Es wurde nur von einem Schnappverschluss gehalten und ließ sich leicht aufklappen. Jetzt kam das schwerste Stück Arbeit: das Zahlenschloss des Safes.
    Egal ob aus redlichen oder unlauteren Absichten, je besser 234
    man einen Menschen kennt, desto leichter wird es einem fallen, sein Vertrauen zu gewinnen. Bei Panzerschränken ist das nicht anders, sofern man die Gabe besitzt, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Nico hatte sich in der Gemeindebibliothek mit der Technik von Kombinationsschlössern vertraut gemacht. Das Exemplar in Manzinis Sicherheitsschrank besaß drei konzentrische Ringe, von denen jeder einhundert Raststellungen einnehmen konnte.
    »Der Hauptgewinn ist unter neunhundertneunundneunzig-
    tausend Nieten versteckt. Zu viel zum Herumprobieren, nicht wahr, mein Kleiner?« Seine Stimme klang, als wolle er Freundschaft mit einem scheuen Hündchen schließen. Die Linke wie zur Beruhigung auf den kalten, schwarzen Stahl der Tür gelegt, drehte er mit der Rechten langsam den Knopf zur Wahl der Zahlenkom-bination. Er merkte gar nicht, wie er wieder zu summen begann.
    Abrupt hielt er inne.
    Nico lächelte. »Im bin im zweiundzwanzigsten Lebensjahr. Die Nummer gefällt mir, mein Süßer. Was hast du als Nächstes zu bieten?«
    Jetzt drehte er den Wählknopf in die umgekehrte Richtung, also rechtsherum, bis die Null fast unter der Einstellmarkierung stand. »Eine Eins. Es ist das erste Mal, dass ich einen Tresor kna-cke. Jetzt verrat mir noch die dritte Zahl, mein kühler Freund.«
    Wieder suchte er entgegen dem Uhrzeigersinn – und wurde
    spät fündig. »Einundachtzig?«, flüsterte er. Mit der Linken drückte er den Entriegelungshebel herum. Ein Stahlstift schob sich durch die drei in Reihe stehenden Schlitze der verborgenen Einstellringe. Mit einem Ruck öffnete er den Schrank.
    Nico grinste. »22. Januar 1881? Wenn das mal nicht Ihr Ge-burtsdatum ist, Don Massimiliano! In einem guten halben Jahr werden Sie sechzig. Vorausgesetzt, Sie enden nicht vorher am Galgen.«
    Das Auftragsbuch seines Vaters lag noch immer ganz unten
    im Tresor. Ob sich am übrigen Inhalt etwas geändert hatte, konnte er nicht abschätzen. Die braunen und schwarzen Akten-235
    deckel glichen sich wie ein Ei dem anderen. Schnell zog er die in Leder gebundene Kladde, als deren rechtmäßiger Eigentümer er sich betrachtete, unter dem Dokumentenstapel hervor.
    Seine Hand zitterte. Als zwinge ihn eine fremde Kraft, spreizte er die Finger, und das Buch klappte bei der Metallklammer auf die seinem Vater als Lesezeichen gedient hatte. Er spürte, wie eine wilde Entschlossenheit in ihm aufstieg, als er den letzten Eintrag las.

    Kunde wünscht keinen Purgatorio im Deckel.
    Muss entfernt werden.

    Die krakelige Schrift des Uhrmachermeisters unterschied sich deutlich von den fast wie gedruckt anmutenden Buchstaben dar-
    über. Emanuele dei Rossi war zu Recht erregt gewesen, als sein Kunde sich über ein Zitat aus Dantes Göttlicher Komödie ereifert hatte.
    Und dann entdeckte Nico auf der rechten, noch unbeschrie-
    benen Seite etwas, das seine Adern schwellen ließ: einen blutigen Fingerabdruck. Hatte der Mörder hier unfreiwillig seine Signatur hinterlassen?
    Nico spürte einen Schwindel, der ihn schwanken ließ. Schnell stopfte er die Kladde in den braunen Sack. Aber er war nicht allein wegen seines »Erbes« hierher gekommen. Da gab es noch einen anderen Verdacht. Obwohl die Zeit drängte, nahm er den obersten der Aktendeckel zur Hand und öffnete ihn.
    »O nein! Es sind tatsächlich Namen«, keuchte er. Dutzende davon waren mit Adressen und anderen Bemerkungen fein säu-berlich über drei Blätter hinweg aufgereiht. Auf der ersten Seite stand ganz oben derjenige seines Vaters und rechts herausgerückt, wie auch

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