Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
Freudentanz aufgeführt. Dann haben wir dich wieder gehen lassen …« Er schüttelte den Kopf und breitete die Arme aus. »Zehn Jahre habe ich darauf gewartet, dich fertigmachen zu können, und dann bekommst du doch noch eine Chance, weil du so ein flottes Mundwerk hast! Es heißt zwar, man solle keine Arbeit mit nach Hause nehmen, aber … wie soll ich’s ausdrücken? Vielleicht bin ich einfach ein zu gewissenhafter Beamter.«
»Was, glaubst du, wird der Alte sagen, wenn er herausfindet, dass du mich abgemurkst hast?«
Er gab ein schallendes Lachen von sich, das einen bedrohlichen Unterton hatte. »Wenn ich diese Gasse verlasse, wirst du noch gesund und munter sein.« Er tippte mit einem seiner fetten Finger in die aus meiner Nase quellende Flüssigkeit, um die gerötete Fingerkuppe anschließend eingehend, fast zärtlich zu betrachten. »Natürlich kann ich nicht für die Herren hier sprechen. Die zwar ungeschult, aber voller Enthusiasmus sind. Außerdem würde ich mich an deiner Stelle nicht zu sehr auf die Nachsicht des Alten verlassen. Soviel ich weiß, hast du es nicht geschafft, in deinem kleinen Ghetto Gewalttätigkeiten zu verhindern. Diesen Jungen haben wir heute im Fluss gefunden – und vom bedauerlichen Ableben deines ehemaligen Partners wirst du ja wohl schon gehört haben.«
In meinem Magen loderte es auf wie Feuer. »Untersteh dich, von Crispin zu sprechen, du sodomitischer Gorilla.«
Er trat mir mit der Stiefelspitze an die Stirn, sodass mein Kopf gegen die Mauer knallte. »Für einen Mann, der seine Innereien bald ausführlich betrachten darf, bist du ziemlich aufmüpfig.«
Einer seiner Handlanger – ein klapperdürrer Mirader, dessen Gesicht die rituellen Narben aufwies, mit denen man in dieser üblen Theokratie Kriminelle brandmarkt – holte einen Dolch aus seinem Mantel und sagte etwas, das ich nicht verstand.
Crowley wandte den Blick von mir ab, um den Mirader mit hassverzerrtem Gesicht anzuherrschen. »Noch nicht, du Scheißdegenerierter. Ich hab dir doch gesagt, dass wir ihn erst ein bisschen zur Ader lassen.«
Jetzt oder nie!, dachte ich bei mir. Ich zog meinen rechten Fuß an und ließ ihn gegen Crowleys Kniescheibe schnellen. Doch mit meiner Sicht stimmte noch immer etwas nicht, denn ich traf Crowley am Schienbein.
Was aber ausreichte. Er schrie auf und wankte zurück. Ich sprang hoch. Vermutlich hatte Crowley angenommen, der Schlag auf den Kopf würde mich länger kampfunfähig machen. Der Blödmann – da kannte er mich schon seit zehn Jahren und hatte immer noch nicht begriffen, was für einen harten Schädel ich hatte.
Ich bog um eine Ecke und hörte, wie Metall gegen Stein klirrte, was darauf schließen ließ, dass der Dolch des Miraders sein Ziel verfehlt hatte. Dann setzte ich mich mit all der Schnelligkeit, die mein geschundener Körper aufzubringen vermochte, in Trab und steuerte auf den Kanal zu.
Die Gassen in diesem Teil der Unterstadt umgeben die größeren Straßen wie ein von einer betrunkenen Spinne gewebtes Netz und verlaufen kreuz und quer. Selbst ich kenne sie nicht sonderlich gut, was ich nicht zuletzt daran merkte, dass ich ein- oder zweimal dieselbe Gasse durchquerte. Doch Crowley und seiner Bande erging es nicht viel besser – die grauen Mauern hallten von den wütenden Schreien meiner Verfolger wider, was mir einen Antrieb verlieh, der eigentlich gar nicht erforderlich war.
Nachdem ich mich durch das Labyrinth der Gassen gekämpft hatte, erreichte ich den breiten Boulevard, der längs des Kanals verläuft. Ich rannte los, bis ich zum Fuß der aus Kalkstein gebauten Brücke gelangte, die sich über den Kanal wölbt, und machte mich an den Aufstieg. Normalerweise wimmelte es hier von Passanten und Ausflüglern, die die Aussicht genossen, doch bei diesem Wetter war außer mir niemand in Sicht. Zumindest zunächst.
Von der anderen Seite kam mir der Mann entgegen, der mich anfangs verfolgt hatte. Er hielt ein langes, gebogenes Messer in der Hand und schien mir jetzt wesentlich größer als zuvor. Hinter mir trat der narbengesichtige Mirader, dessen Gestalt sich schemenhaft im Nebel abzeichnete, aus einer Gasse.
In der Mitte der Brücke machte ich halt und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Ich spielte mit dem Gedanken, mich auf den Schläger zu stürzen, der rasch auf mich zukam, doch unbewaffnet, wie ich war, würde er mich so lange aufhalten, bis die anderen eintrafen. Hinter mir hörte ich, wie Crowley mich verfluchte und mir die schlimmsten
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