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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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Strafen in Aussicht stellte. Ein rascher Blick über die Schulter verriet mir, dass er dem Mirader auf den Fersen folgte, der seinen Schritt verlangsamte, um auf seine Kumpane zu warten.
    Manchmal ist Erfolg ein Resultat komplexer Strategien. Häufiger kommt er jedoch durch Schnelligkeit und Überraschung zustande. Crowley war weit davon entfernt, ein Genie zu sein, doch ich war nicht das erste arme Schwein, das er in den Straßen von Rigus verfolgte. Wenn er noch ein paar Sekunden Zeit zum Überlegen gehabt hätte, wäre er draufgekommen, dass ich lieber ein Bad nehmen als mich mit seinen Schlägern auseinandersetzen würde. Doch bisher hatte er diese Möglichkeit noch nicht ins Auge gefasst und war völlig perplex, als ich über das Geländer kletterte und in den Kanal sprang.
    Das Eis war nicht so dünn, wie es von oben ausgesehen hatte, sodass ich mir die Schulter aufschlug, als es zerbarst. Der Schmerz hielt jedoch nicht lange an, da mich das eiskalte Wasser förmlich anästhesierte. Es gelang mir, meinen schweren Mantel abzustreifen, und nachdem ich mit meinen tauben Fingern vergeblich an den Schnürsenkeln herumgefummelt hatte, riss ich mir die Stiefel von den Füßen.
    Bestimmt nahm Crowley an, ich würde flussabwärts schwimmen. Doch ich war noch nie ein großer Schwimmer und hielt es für unwahrscheinlich, dass es mir gelingen würde, ihm und seinen Handlangern davonzuschwimmen. Deshalb blieb ich, wo ich war, und tauchte tiefer. Das Wasser war derart voller Unrat, dass ich, selbst wenn ich so dumm gewesen wäre, die Augen zu öffnen, nichts hätte sehen können. Ich konnte also nur abwarten und hoffen, dass Crowley auf meinen Trick hereinfiel. Ich hielt den Atem so lange an, wie es ging. Dann schoss ich nach oben, um Luft zu holen, indem ich die Eisschicht ein Stück hochdrückte. Anschließend tauchte ich wieder ab. Lange würde ich das nicht durchhalten. Meine Glieder wurden immer schwerer, meine Bewegungen immer langsamer, und die Bereitwilligkeit meines Körpers, meinen Befehlen zu gehorchen, verringerte sich von Sekunde zu Sekunde.
    Zweimal tauchte ich noch auf, um Luft zu holen, dann ertrug ich die Kälte nicht mehr. Ich schwamm zum Westufer und zog mich am Uferdamm hoch. Ein paar Sekunden lang blieb ich ausgestreckt auf dem schmutzigen Kopfsteinpflaster liegen und versuchte vergebens, meinen geschundenen Körper durch Willenskraft dazu zu bringen, sich zu erheben. Die Vorstellung, was mir bevorstehen würde, wenn Crowley und seine Männer mich fänden, verlieh mir schließlich die Energie, mich hochzurappeln.
    An einem anderen Tag hätte das nicht geklappt – sie hätten mich aus dem Kanal klettern sehen und mich zur Strecke gebracht –, doch der Nebel war so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte, was eine Verfolgung so gut wie unmöglich machte. Crowley hatte meine List geschluckt – ich hörte, wie sie sich in der Ferne etwas zuriefen und dahinterzukommen versuchten, wo ich abgeblieben war.
    Ich wusste, dass ich es nicht bis zum Torkelnden Grafen schaffen würde. Ich versuchte es auch gar nicht, sondern schlug mich in eine Gasse und ging so schnell wie ich konnte in Richtung Süden. Der Wind peitschte mir ins Gesicht, und ich merkte, wie die Haare an der Kopfhaut festfroren. Wenn ich mich nicht bald meiner nassen Kleider entledigen und vor ein warmes Feuer setzen konnte, würde die Kälte das erledigen, was Crowley nicht gelungen war, vielleicht auf nicht ganz so schmerzhafte, aber ebenso nachhaltige Weise.
    Ständig verschwammen die engen, verwinkelten Straßen vor meinem Blick, in meiner Brust breitete sich ein unerträglicher Schmerz aus. Vor mir lagen nur noch ein paar Häuserblocks – die Chancen, dass ich es schaffen würde, schätzte ich auf fünfzig zu fünfzig.
    Immer langsamer, immer schleppender wurden meine Schritte, bis ich schließlich unbeholfen vorwärtstaumelte.
    Noch ein Schritt.
    Und noch einer.
    Mit einem erschreckenden Mangel an Würde kletterte ich über die weißen Steinmauern und schlug mir dabei die Knie auf. Meinen erstarrten Gliedern bereiteten selbst diese niedrigen Mauern Schwierigkeiten. An der letzten geriet ich ins Straucheln, sodass ich kopfüber vor dem Turm landete. Ich fummelte in meinem Hemd herum, um Crispins Auge der Krone herauszuholen, weil mir einfiel, dass sich damit möglicherweise die Verteidigungsmechanismen des Magierhorsts außer Kraft setzen ließen, doch meine Hände versagten mir den Dienst. Aber ich hätte ohnehin nie die

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