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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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Konzentration aufgebracht, die erforderlich war, um das Auge der Krone zu aktivieren. Ich hievte mich hoch und klopfte an die Tür, was ebenso vergeblich war wie meine Rufe, die der Wind davontrug.
    Der Gargoyle rührte sich nicht. Stumm und starr hockte er über der Tür, als ich zu Boden sackte.

30
    Im Hochsommer des Jahres, als ich neunzehn war, brach in Rigus das Kriegsfieber aus. Auf allen Straßen wurde eifrig darüber diskutiert, dass die Hemdell-Konferenz gescheitert war und unsere Verbündeten auf dem Kontinent, die Mirader und die Nestrianner, mobilgemacht hatten, um ihre Grenzen gegen die von den Dren ausgehende Bedrohung zu verteidigen. Kanzler Aspith hatte beschlossen, ein Heer von zwanzigtausend Mann aufzustellen, das größte Truppenkontingent, das es je im Reich gegeben hatte. Niemand vermochte damals abzuschätzen, dass all dies nur der Anfang war und einen Brand entfachen würde, der den ganzen Kontinent verheeren sollte.
    In den Jahren seit Ende der Kampfhandlungen sind mir viele unterschiedliche Gründe zu Ohren gekommen, warum wir damals in den Krieg zogen. Als ich mich freiwillig meldete, wurde mir mitgeteilt, dass wir darauf brannten, die Verträge zu erfüllen, die wir mit unseren Waffenbrüdern geschlossen hatten – obwohl mir damals schon schleierhaft war, welches persönliche Interesse ich daran haben sollte, die territoriale Integrität des verfallenden miradischen Reichs mit seinem degenerierten Priesterkönig zu schützen oder den Nestriannern dabei zu helfen, sich für Dinge zu rächen, die ihnen die junge Republik Dren vor fünfzehn Jahren angetan hatte. Nicht dass das irgendeine Rolle gespielt hätte, denn von dieser Begründung kamen unsere Machthaber sehr rasch ab, als unsere treuen Verbündeten nach zwei Jahren Krieg kapitulierten. Danach hieß es dann, dass meine Anwesenheit in Ländern, die Hunderte von Kilometern von der Heimat entfernt waren, nötig sei, um die Interessen der Krone in Übersee zu schützen und die Dren daran zu hindern, einen eisfreien Hafen am Meer zu gewinnen, von dem aus sie die weit verstreuten Besitzungen unseres Reichs bedrohen konnten. Ein Professor aus meiner Bekanntschaft – ein Kunde von mir – versuchte mir mal zu erklären, dass Krieg eine unvermeidliche Begleiterscheinung dessen sei, was er als die »Expansion oligarchischer finanzieller Interessen« bezeichnete. Allerdings waren wir beide damals ziemlich mit Koboldatem zugeknallt, sodass ich Schwierigkeiten hatte, ihm zu folgen. Jedenfalls habe ich die verschiedensten Erklärungen zu hören bekommen – meine Güte, die Hälfte der Einwohner der Unterstadt macht tatsächlich immer noch die Banken der Eiländer und ihren Einfluss bei Hofe für die ganze Geschichte verantwortlich.
    Aber ich kann mich noch gut an die Hetze vor dem Krieg erinnern und an die Massen, die zu den Rekrutierungsstellen drängten. Ich erinnere mich an die Lieder – Die Dren sind üble Sklaven, wir werden sie bestrafen! –, die Tag und Nacht in allen Kneipen der Stadt gegrölt wurden. Ich erinnere mich daran, dass ein Gewitter in der Luft lag, erinnere mich an die Liebespaare, die auf den Straßen voneinander Abschied nahmen, und ich werde Ihnen verraten, was ich glaube. Ich glaube, wir zogen in den Krieg, weil das Spaß macht, weil es etwas im Menschen gibt, das sich an einer solchen Situation aufgeilt, auch wenn die Wirklichkeit dann ganz anders aussieht, denn sie besteht darin, Unmengen seiner Mitmenschen zu ermorden. Einen Krieg zu führen ist kein Spaß, sondern eine grässliche Angelegenheit. Aber einen Krieg anzufangen? Verdammt noch mal, das ist besser, als sich eine ganze Nacht lang mit Daevas-Honig zuzudröhnen.
    Was mich betrifft – nun ja, wenn man seine Kindheit damit verbringt, mit den Ratten um Abfall zu kämpfen, eignet man sich nicht gerade kleinbürgerliche Tugenden wie Nationalismus und Xenophobie an, Tugenden, die dazu führen, dass man bei der Vorstellung, Menschen zu töten, die man noch nie gesehen hat, vor Freude in die Luft springt. Doch eine Zeit bei der Armee war allemal besser als ein weiterer Tag an den Docks – zumindest habe ich das damals so gesehen. Der Rekrutierungsoffizier sagte, in sechs Monaten sei ich wieder zu Hause, und händigte mir eine schicke Rüstung aus Leder sowie eine Sturmhaube aus, die mir nicht ganz passte. Von Ausbildung konnte kaum die Rede sein – eine Pike bekam ich erst zu Gesicht, als wir uns in Nestria ausschifften.
    Ich gehörte zur ersten Welle von Rekruten,

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