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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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ich Ihnen verraten?«
    »Dass Ihnen Lug und Trug mehr liegen als Aufrichtigkeit.«
    »Vielleicht versuche ich ja nur, mich der Umgebung anzupassen. Oder war jedes Stöhnen, das je von diesen Wänden widerhallte, echt?«
    »Jedes. Einzelne«, erwiderte sie, indem sie beide Wörter gleichermaßen stark betonte. In der Ecke befand sich eine kleine Bar. Sie griff nach einer Karaffe und füllte zwei Gläser mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Eines reichte sie mir. »Worauf wollen wir trinken?«, fragte sie in leicht anzüglichem Ton.
    »Auf die Gesundheit der Königin und das Wohl ihrer Untertanen.«
    Dieser alte Trinkspruch war wirklich nicht sonderlich originell. Trotzdem ging sie bereitwillig darauf ein. »Auf die Gesundheit der Königin und die Fruchtbarkeit ihres Landes.«
    Ich trank einen Schluck. Das Zeug war gut. Sehr gut.
    Mairi setzte sich auf eine rote Ledercouch und bedeutete mir, auf dem Diwan gegenüber Platz zu nehmen. Nachdem ich mich niedergelassen hatte, saßen wir einander so gegenüber, dass sich unsere Beine fast berührten. »Woher kennen Sie Yancey?«, fragte sie.
    »Woher kennt man jemanden? Bei meiner Tätigkeit lernt man allerlei Leute kennen.«
    »Und was genau machen Sie?«
    »Ich sammle Gelder für Kriegswitwen und Waisen. An freien Tagen kümmere ich mich um ausgesetzte Hündchen.«
    »Was für ein erstaunlicher Zufall! Das ist genau die Tätigkeit, der wir auch nachgehen.«
    »Nehme an, Ihre Hundepension befindet sich im Souterrain.«
    »Wo bringen Sie Ihre Waisen unter?«
    Ich kicherte und nippte an meinem Drink.
    Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, ihre rußschwarzen Augen liebkosten mich. »Ich weiß natürlich, wer Sie sind. Nachdem mir der Reimer Bescheid gegeben hatte, habe ich Erkundigungen eingezogen.«
    »Ach was.«
    »Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich die Gelegenheit haben würde, eine so berühmte Gestalt der Unterwelt kennenzulernen.«
    Ich hüllte mich in vielsagendes Schweigen. Trotzdem fuhr sie fort, mir um den Bart zu gehen, offenbar weil sie der Ansicht war, dass ich das genoss.
    »Ich habe mich immer gefragt, was aus dem Verrückten Edward und seinen Leuten geworden sein mag. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich herausfand, dass der Mann, der die Syndikate aus der Unterstadt vertrieben hat, mir einen Besuch abstatten würde.«
    Mairis Quellen waren gut. Es gab nur ein halbes Dutzend Leute, die wussten, was mit Edwards Bande geschehen war, und zwei davon waren tot. Ich musste herausfinden, wer von den übrigen vier gesungen hatte.
    Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie mich das erregt hat.«
    Einer der wenigen Vorteile körperlicher Unattraktivität besteht darin, dass man es, wenn einem eine Frau Avancen macht, im Allgemeinen ausschließen kann, dass sexuelle Erregung dahintersteckt. In Mairis Fall bin ich mir nicht sicher, ob sie überhaupt etwas damit bezweckte – ich vermute eher, dass sie es einfach nicht mehr verstand, ein anderes Verhalten an den Tag zu legen, und ihre Nummer mechanisch abzog. Jedenfalls hinterließ die ganze Sache einen faden Nachgeschmack.
    »Faszinierend.« Ich trank einen weiteren Schluck Whiskey, um den schalen Geschmack aus meinem Mund zu bekommen. »Aber ich bin nicht wegen meiner Lebensgeschichte hergekommen. Mit der bin ich vertraut – ausführlich, könnte man sagen.«
    Sie nahm die Kränkung keinesfalls gelassen hin und verzog verdrossen das Gesicht. Dann griff sie nach einem Silberetui, das auf dem Tisch neben ihr lag, entnahm ihm eine dünne schwarze Zigarette, steckte sie sich zwischen die blutroten Lippen und zündete sie an. »Und weshalb sind Sie dann hier?«
    »Hat Yancey das nicht erwähnt?«, fragte ich.
    Sie stieß den Tabakrauch durch die Nase aus. »Ich möchte, dass Sie es mir erzählen.«
    »Yancey sagt, Sie hätten ein scharfes Gehör und ein gutes Gedächtnis. Ich würde gern hören, was Ihr Gedächtnis über Lord Beaconfield hergibt.«
    »Die Lächelnde Klinge?« Sie machte etwas, das die Absicht, die Augen zu verdrehen, ausdrückte, ohne tatsächlich so vulgär zu sein, mit den Augen zu rollen. »Abgesehen von dem Talent, das ihm seinen Spitznamen eingetragen hat, ist er ein typischer Aristokrat: gelangweilt, kaltblütig, amoralisch und grausam.«
    »Das sind offenkundige Tatsachen, keine Geheimnisse«, erwiderte ich.
    »Und er ist pleite«, fügte sie hinzu.
    »Dann sind also das Herrenhaus, die Partys, das Geld, das er mir gezahlt

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