Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
Ich blieb abrupt stehen, damit der Mirader merkte, dass ich ihn gesehen hatte. Dann bog ich scharf in eine Gasse ab und ging nach Süden weiter, in Richtung Kirenerviertel. Ich bewegte mich schnell, aber nicht so schnell, dass mich Crowley und seine Jungs im Dunkeln aus den Augen verloren. Sie gingen auf das Spiel ein und schafften es, mir auf der Spur zu bleiben, obwohl sie zu ungeschickt waren, mich zur Strecke zu bringen. Fünfzehn Minuten später stand ich unter dem Zeichen des Blauen Drachen und huschte durch die Tür.
Die Kneipe war rappelvoll. Ich ignorierte die unfreundlichen Blicke, mit denen ich begrüßt wurde. Der Fettsack hinter dem Tresen schwatzte gerade mit einem Gast, doch als er mich sah, verstummte er und nahm den leeren Gesichtsausdruck an, den er immer dann an den Tag legte, wenn wir miteinander Geschäfte machten. Für Feinheiten blieb keine Zeit, deshalb drängte ich mich schnurstracks zur Theke.
Ich beugte mich zu ihm, wobei mir der Gestank in die Nase stieg, den sein fetter Leib verströmte. »Ich muss mit Ling Chi sprechen. Sofort.« Er verzog keine Miene. Offenbar überlegte er, was er tun sollte, da er nur zu genau wusste, was Ling Chi von nachsichtigen Türhütern hielt. »Bin ich in all den drei Jahren je ohne Grund zu ihm gekommen?«
Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Hintertür. Ich öffnete sie und trat in das Vorzimmer. Wenn die zwei Wächter überrascht waren, mich zu sehen, dann ließen sie es sich nicht anmerken. Wie auch immer der Fettsack sie von meiner Ankunft in Kenntnis gesetzt haben mochte – das Ganze war offenbar lautlos und effektiv über die Bühne gegangen. Nachdem ich meine Waffen auf den Tisch geworfen und mich einer raschen Leibesvisitation unterzogen hatte, wurde ich in das angrenzende Zimmer geführt.
Ich hatte zwar immer noch meine Zweifel hinsichtlich der Authentizität von Ling Chis Kostümierung, doch wenn er tatsächlich eine Show abzog, dann war er in der Lage, sie verdammt schnell in Szene zu setzen. Sein Aufzug war makellos. Weder das silberweiße Diadem auf seinem Kopf noch das Schönheitspflästerchen, das sein Make-up akzentuierte, fehlten. Wie im Gebet hatte er die Hände vor der Brust gefaltet. Diesmal waren seine langen falschen Fingernägel nicht golden, sondern jadegrün. »Die Freude, die angesichts des unerwarteten Besuchs meines Gefährten in meiner Brust aufwallt, ist fast zu viel für mein altes Herz.«
Ich verbeugte mich tief. »Es ist ein Fleck auf meiner Ehre, dass ich gezwungen bin, die Ruhe meines Mentors zu stören. Unermüdlich werde ich bestrebt sein, diesen Fleck zu tilgen.«
Er machte eine großzügige Geste, da es ihn entzückte, das Gespräch aus der Position des Stärkeren eröffnen zu können. »Die Besorgnis meines geliebten Freundes macht seinen Prinzipien alle Ehre. Aber was bedürfen wir der Zeremonien, wir, die wir uns näher stehen als Brüder? Frohen Herzens befehle ich, jedes Tor, das uns trennt, zu öffnen – eilfertig ordne ich an, die Tür meines Allerheiligsten für den Zwilling meines Herzens aufzureißen!«
»Unsägliches Glück wird deinem Diener zuteil, wenn er weiß, dass ihm der, dessen Wort Gesetz ist und dessen Hand schützend über seinen Kindern schwebt, Audienz gewährt.«
Seine gelassene Miene veränderte sich auf unübersehbare Weise. »Schützend …«
»Nur zu gut weiß mein Beschützer, dass Unschuld uns nicht vor dem Wolf bewahrt und dass aus Freundschaft erwachsene Taten uns oft vernichten.«
»Der Himmlische Kaiser erlegt niemandem eine größere Last auf, als er zu tragen vermag.«
»Endlos möge seine Herrschaft sein«, erwiderte ich.
»Endlos möge seine Herrschaft sein.«
»Große Männer stehen vor dem Meer und gebieten den Wellen, während kleine Leute wie wir uns abmühen, nicht an den Felsen zu scheitern.«
»Alle sind dem Willen des Kaisers unterworfen«, entgegnete er.
»Wie wahr! Doch während die Weisen in der Himmlischen Ordnung Anleitung finden, bereitet es uns niederen Kreaturen Mühe, den uns bestimmten Pfad zu erkennen. Ich fürchte, in meinem Eifer, meinem Gefährten zu dienen, bin ich zum Ziel für diejenigen geworden, die ihm feindlich gesinnt sind.«
»Das ist bedauerlich«, erwiderte er ohne eine Spur von Mitgefühl. »Und wer sind diese Männer, die meinem liebsten Cousin Leid zufügen wollen?«
»Es betrübt mich, berichten zu müssen, dass diejenigen, die in unserm Land mit der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung betraut sind, in all ihrer
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