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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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die Häretiker in ihrer Rage versehentlich auch über mich herfielen. Außerdem hatte der Schlag, den ich Crowley versetzt hatte, der Wunde in meinem Arm nicht gutgetan. Mein Ex-Kollege wehrte sich nach Kräften und brachte einen von Ling Chis Gefolgsleuten mit einem linken Haken aus dem Gleichgewicht, bevor der tätowierte Kirener ihn zu Boden streckte. Da trat ich dazwischen und scheuchte den Häretiker weg, ehe er Crowley mit einem Rasiermesser die Kehle durchschneiden konnte. Ich wollte ihn lebend. Das Schicksal seiner Kumpane war mir egal.
    Die Kirener waren zwar unprofessionell und übereifrig, aber gründlich. Nach fünf Minuten wies nichts mehr darauf hin, dass gerade drei weiße Männer ermordet worden waren. Die Leichen hatte man weggebracht, um sie auf einem der unzähligen Wege zu entsorgen, die Ling Chi ersonnen hatte, um seine Opfer spurlos verschwinden zu lassen. Crowley lag auf dem Boden. Jedes Mal, wenn er sich rührte, traten zwei von Ling Chis Männern auf ihn ein. Ich wies mit dem Kopf auf eine Nebentür, woraufhin sie ihn bei den Armen packten und nach draußen schleiften.
    Der Schneesturm hatte vorübergehend ausgesetzt, der Schnee glänzte hell im Sternenlicht. Crowleys Knie hinterließen Furchen im Schnee, in die das Blut aus seiner Kopfwunde tropfte. In einer Sackgasse hinter der Kneipe machten wir halt. Ling Chis Gefolgsleute hielten meinen alten Intimfeind fest, der ohne ihre Hilfe zusammengebrochen wäre. Ich holte meinen Tabakbeutel heraus, drehte mir eine Zigarette und wartete darauf, dass er wieder zu sich kam.
    Voller Genugtuung reckte ich ihm meine hässliche Visage entgegen, als er das Bewusstsein wiedererlangte. »Wieder unter den Lebenden?«
    Er stieß einen wilden, phantasievollen Fluch aus.
    Ich zog mein Wurfmesser aus dem Schulterhalfter und hielt es locker in der linken Hand. Einer der Kirener sagte etwas zu seinem Kameraden, sprach aber so schnell, dass ich ihn nicht verstehen konnte. »Crowley, sieh mich an.«
    Ich presste ihm das Messer gegen die Kehle. Zu seiner Ehre muss ich sagen, dass er weder zusammenzuckte noch sich bepisste. »Ich könnte dich jetzt abmurksen, Crowley. Die Häretiker würden deine Leiche verschwinden lassen, und in allen Dreizehn Landen würde dir niemand auch nur eine Träne nachweinen.«
    Ich ließ die Waffe sinken. »Aber ich werde dich nicht abstechen, Crowley – ich werde dich gehen lassen. Und ich möchte, dass du von heute an bis zu dem Tag, an dem ich beschließe, dich zu töten, diesen Akt der Güte nicht vergisst. Ich bin dein Wohltäter, Crowley – von heute an hast du jeden sonnigen Nachmittag, jeden Fick und jedes gute Essen mir zu verdanken.« Er blinzelte verwirrt. Ich grinste ihn breit an. »Aber für den Fall, dass du vergesslich werden solltest …« Ich schlitzte ihm mit meinem Dolch die Wange auf. Er stieß einen Schrei aus und sackte zusammen.
    Ich beobachtete einen Moment lang, wie er blutete. Dann nickte ich dem tätowierten Kirener zu. Er und der andere wechselten erstaunte Blicke – offenbar war es bei den Häretikern nicht üblich, in letzter Minute Gnade walten zu lassen. Ich nickte abermals. Sie ließen Crowley los, der zu Boden plumpste und reglos liegen blieb.
    Die Kirener kehrten in die Kneipe zurück, während sie über die absurden Sitten dieses fremden Landes lachten. Ich selbst verließ die Gasse und begab mich zum Torkelnden Grafen . Es war zu spät, um Cadamost aufzusuchen. Ich konnte nur hoffen, dass mich diese kleine Einlage am Ende nicht mehr kosten würde, als sie wert war. Trotzdem stahl sich auf dem Heimweg immer wieder ein Grinsen auf meine Lippen, wenn ich daran dachte, wie ich Crowleys Gesicht verunstaltet hatte.

39
    Ich wachte früh auf und verließ in aller Stille die Kneipe. Die Adresse, die mir Guiscard mitgeteilt hatte, befand sich im tiefsten Kirenerviertel, jenem Teil der Stadt, wo man nur selten jemanden zu Gesicht bekam, der kein treuer Untertan des Himmlischen Kaisers war. Nachdem drei Tage lang der Schneesturm des Jahrhunderts getobt hatte, bekam man natürlich auf den Straßen ohnehin kaum jemanden zu Gesicht. Als ich unter dem Zeichen der Grauen Laterne anlangte, waren meine Stiefel völlig durchweicht, und ich überlegte, ob mir der Alte wohl aufgrund des Wetters eine Fristverlängerung gewähren würde.
    Ich trat in einen putzigen kleinen Laden von ungefähr drei Metern Länge. Die Regale waren mit den unterschiedlichsten Waren bestückt – Töpfen und Pfannen, Nadeln und

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