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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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an Adelweid erinnern«, fuhr er fort. »Mit ihm hat das Ganze angefangen, wissen Sie. Eines Tages entdeckte er im Archiv ein Tagebuch … es gab Unmengen von diesem Mist, Papiere, die die Krone im Laufe der Jahre beschlagnahmt hatte, ohne dass jemals jemand einen Blick darauf geworfen hätte. Die Blätter waren schon halb zerfallen, aber das, was man noch lesen konnte …« Unruhig huschte sein Blick hin und her. »Sie sagen, Sie waren am Schluss mit dabei?«
    »Ich war Leutnant bei der Hauptstadtinfanterie. Wir sind als Erste in Donknacht eingedrungen, nachdem Sie und Ihre Kollegen den Feind schon ziemlich mürbe gemacht hatten.«
    »Ja, das hatten wir wohl. Haben Sie … eins gesehen?«
    »Hab ich.« Es lag nahe, worauf er sich bezog.
    »Was meinen Sie, wo es herkam?«
    »Aus einer anderen Welt? Keine Ahnung. Metaphysik war noch nie meine starke Seite.«
    »Es kam weder aus einer anderen Welt, noch überhaupt aus einer Welt, sondern aus dem Nichts zwischen den Universen, aus dem Teil des Raums, in den kein Licht gelangt. Von da ist sie gekommen.«
    »Sie?«, fragte ich.
    »Sie«, bestätigte er. »Sie tanzte in der Finsternis, als ich sie herbeizitierte, und drehte sich endlos im Zentrum der Ewigkeit. Wartete auf einen Freier.«
    Angewidert biss ich die Zähne zusammen. »Wie haben Sie sie herbeizitiert?«
    Sein Atem stank nach Aas, verfault und unnatürlich. »Sie war keine gewöhnliche Hure, die man bloß herbeizupfeifen braucht! Sie war eine Dame, keusch und züchtig, und hat nicht einfach auf einen Wink von mir die Beine breitgemacht! Ich musste um sie werben!« Er nahm einen weiteren Zug aus der Pfeife und hustete mir ins Gesicht.
    »Sie mussten um sie werben? Was heißt das?«
    »Was sind Sie denn für einer? Ein Schwuler, der sich in der öffentlichen Badeanstalt hinkniet, um an einem Schwanz zu lutschen, den jemand durch ein Loch in der Wand steckt? Haben Sie noch nie ’ne Frau gehabt? Man flüstert ihr was zu, man sagt ihr, wie schön sie ist. Zu gegebener Zeit schenkt man ihr was Besonderes – als Zeichen seiner Liebe.«
    »Was für ein Zeichen?«
    »Tja, das war der Haken an der Sache. Sie hat die Dinge nicht so wahrgenommen wie wir – für sie war ein Mensch wie der andere. Sie brauchte etwas von mir, um sich an mich zu erinnern, etwas Besonderes, etwas, das irgendwas von mir an sich hatte.«
    »Und was war das?«
    »Ein Armband, das mir meine Mutter geschenkt hatte, als ich Miradin verließ.« Daran schien er sich nicht gern zu erinnern, sodass er nicht weiter darauf einging. »Ich warf es in die Leere, und als es zu mir zurückkam, summte es, war es mit ihrem Gesang aufgeladen, summte es Tag und Nacht. Das verband uns miteinander. Sie war schön und hingebungsvoll – ihre Liebe zu mir war so grenzenlos wie das schwarze Meer, in dem sie schwamm. Aber sie war eine eifersüchtige Geliebte und geriet schnell in Zorn. Das Zeichen schmiedete uns zusammen.« Er lächelte grimmig. »Ohne das Zeichen wäre sie sehr, sehr verärgert gewesen.«
    Als sich Adelweid damals geweigert hatte, seinen Schmuck abzulegen, hatte ich das für reine Eitelkeit gehalten. Vielleicht ließ sich auf diese Weise auch Brightfellows Vorliebe für Schmuck erklären, obwohl man das natürlich ebenso auf seinen schlechten Geschmack zurückführen konnte. »Diese … Wesen«, sagte ich, »man kann sie zwar herbeizitieren, aber sie können nicht hierbleiben?«
    »Sie war zu vollkommen, war von unserer schäbigen Wirklichkeit nicht verdorben. Damit sie in unsere Welt übertreten konnte, dazu war die Kraft meiner Liebe erforderlich.«
    Das stimmte mit dem überein, was ich beobachtet hatte, denn Adelweids Kreatur war nach Erledigung ihrer Aufgabe wieder verschwunden. »Da war noch ein anderer Student zusammen mit Ihnen auf der Akademie – Brightfellow, Johnathan Brightfellow.«
    Cadamost kratzte sich mit einem schmutzigen Fingernagel an der rissigen Kopfhaut. »Ja, an den kann ich mich auch erinnern. Er war ein paar Jahre älter als wir anderen, kam aus irgendeiner kleinen Provinz im Norden.«
    »Was fällt Ihnen noch zu ihm ein?«
    »Er war jähzornig. Damals stellte er irgendeinem Mädchen nach. Als einer der Jungs etwas Abfälliges über sie sagte, verlor Brightfellow die Beherrschung und knallte den Kopf des anderen gegen die Wand, bevor jemand eingreifen konnte.« Cadamosts Geist war offenbar schon derart zerrüttet, dass er sich merklich anstrengen musste, um sich zu erinnern. »Er hatte nicht viel Talent, vielleicht deshalb,

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