Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
Zwirnrollen –, deren einzige Gemeinsamkeit darin bestand, dass auf allen eine dicke Staubschicht lag. Man gab sich hier offenbar wenig Mühe, die Fassade zu wahren und so zu tun, als sei dies ein gewöhnliches Geschäft, aber in diesem Teil des Kirenerviertels ließen sich die Bullen vermutlich selten blicken, und falls doch, dann konnte man sie leicht mit Schmiergeldern abwimmeln. Auf einem Hocker saß ein Häretiker mit verkniffenem Gesicht und starrte mich mit einer Miene an, die den Wunsch in mir weckte, ihm die Grundlagen kundenfreundlichen Verhaltens mit den Fäusten beizubringen. Er nickte mir kurz zu, und ich schlüpfte ins Hinterzimmer. Zwar war ich froh, dass er mich ohne Weiteres durchließ, gleichzeitig jedoch beunruhigt, denn anscheinend unterschied ich mich in nichts von einem gewöhnlichen Junkie.
An der hinteren Wand befand sich ein Gerüst aus Eisenstangen, von denen lange Stängel Drachenkraut hingen, die je nach Bedarf zerschnitten und verkauft wurden. Davor saß eine junge Kirenerin, die die Aufgabe hatte, den Kunden entsprechend ihrem Geldbeutel ein paar Stunden Vergessen zu gewähren. Sie beobachtete mich mit offenem Mund – möglicherweise war sie high, vielleicht aber auch nur schwachsinnig. Der Rest des Raumes wurde von Tischen und Nischen eingenommen und zeichnete sich nicht gerade durch Sauberkeit aus. Die Luft war vom unverkennbaren Geruch der Droge erfüllt, widerlich und zugleich verlockend, als mischte sich der Duft von frischen Backwaren mit dem Gestank verbrannten Menschenfleischs.
Obwohl es noch früh war und das Wetter Laufkundschaft nicht förderlich schien, waren schon ein Dutzend Süchtige hier, die ihre Pfeife schmauchten oder bereits im Land des Vergessens weilten. Bis auf eine Ausnahme handelte es sich ausschließlich um Häretiker, sodass es mir leichtfiel, den Richtigen ausfindig zu machen. Er saß zusammengesunken in einer Nische, sein Kopf lag irgendwie verdreht auf dem Tisch. Als ich mich ihm näherte, zeigte er keinerlei Reaktion.
»Afonso Cadamost?«
»Verpiss dich«, erwiderte er, ohne den Kopf zu heben.
Ich legte einen Silberling vor ihn auf den Tisch.
Beim Klimpern der Münze schoss sein Kopf ruckartig in die Höhe. Der Anblick, der sich mir nun bot, war alles andere als schön. Die bräunliche Hautfarbe seines Volkes war zu kränklichem Grau geworden, die Haut hing ihm in dicken, fahlen Falten schlaff vom Gesicht. Verfaulte Zähne sind das verbreitetste Kennzeichen von Drachenkrautsüchtigen. Doch obwohl ich wusste, womit ich zu rechnen hatte, versetzte es mir einen Schock, als er seine schwarz-grünen Zähne lächelnd bleckte. Noch schockierender waren seine Augen: stechende dunkle Punkte, in denen das Feuer der Unterwelt zu lodern schien.
Ich setzte mich ihm gegenüber auf einen Stuhl, wobei ich es vermied, darüber nachzudenken, wer dort vorher seinen Arsch hingepflanzt haben mochte. »Ich würde Sie gern ein paar Dinge fragen«, sagte ich.
Er biss in die Münze, und ich befürchtete schon, er würde sich seine brüchigen Zähne am Metall ausbeißen, was jedoch nicht der Fall war. Achselzuckend steckte er den Silberling in die Tasche. »Nämlich?«
»Wie ich hörte, haben Sie damals an der Operation Vorstoß teilgenommen.«
Angst ist das Letzte, was ein Süchtiger verliert – anscheinend hatte Afonso noch genug davon auf Vorrat, denn meine Bemerkung schien ihn zu beunruhigen. »Was wissen Sie darüber?«, fragte er und leckte sich über die Lippen, bis ihm der Speichel über die zahlreichen Geschwüre sickerte, die die untere Hälfte seines Gesichts entstellten.
Ich spielte mit dem Gedanken, ihn anzulügen, entschied mich aber dagegen – in zwanzig Minuten hatte er dieses Gespräch ohnehin vergessen, und falls nicht, wer würde schon solch einem Degenerierten Glauben schenken? »Meine Einheit war vor Donknacht stationiert, kurz vor dem Waffenstillstand. Ich bin zum Schutz von einem Ihrer Kollegen abkommandiert worden.« Nicht dass dem das was genutzt hätte, hätte ich hinzufügen können, aber das brauchte Cadamost ja nicht zu wissen. »Zauberer Adelweid.«
»Adelweid«, wiederholte er langsam, als bereitete es ihm Mühe, den Namen einzuordnen.
»Sie waren beide zusammen auf der Akademie.«
»Ich weiß, wer er war«, schnauzte mich Cadamost an. »Wofür zum Teufel halten Sie mich?«
Für einen Junkie. Cadamost nahm einen Zug aus seiner Pfeife, um sich zu beruhigen, was meine Einschätzung seiner Person nicht gerade änderte.
»Ich kann mich
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