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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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lässig vom Stuhl hoch. Möglicherweise wollte er uns vor Augen führen, dass er sich trotz Adolphus’ Schilderung unserer Soldatenzeit keine militärische Haltung angeeignet hatte. »Wie gut kennst du das Kirenerviertel?«
    »Ich werd mich schon zurechtfinden«, erwiderte er.
    »Wenn du die Broad Street runtergehst, vorbei am Brunnen des Reisenden, kommst du auf der rechten Straßenseite zu einer Kneipe, über der ein blauer Drache prangt. Hinter der Theke steht ein fetter Mann mit dem Gesicht eines geprügelten Straßenköters. Sag ihm, er soll Ling Chi mitteilen, dass ich dich geschickt hätte. Sag ihm außerdem, er soll Ling Chi mitteilen, dass ich morgen in seinem Revier rumschnüffeln werde. Sag ihm, dass das nichts mit Geschäften zu tun hat und ich es als Gefälligkeit betrachten würde. Er wird dir keine Antwort geben – diese Leute sind ziemlich zugeknöpft –, aber das ist auch nicht nötig. Richte einfach aus, was ich dir aufgetragen habe, und komm wieder her.«
    Zeisig nickte und schlüpfte nach draußen.
    »Und besorg mir auf dem Rückweg was zu essen!«, rief ich ihm nach, obwohl er das möglicherweise schon nicht mehr hörte.
    Ich wandte mich Adolphus zu. »Hör auf, dem Jungen Kriegsgeschichten zu erzählen. Es ist nicht nötig, ihm den Kopf mit solchem Unsinn vollzustopfen.«
    »Unsinn! Jedes Wort dieser Geschichte ist wahr! Ich kann mich noch erinnern, wie du gegrinst hast, als der Leutnant abzog.«
    »Und was bitte schön ist mit ihm passiert?«
    Adolphus’ Grinsen verflüchtigte sich. »Er hat sich die Pulsadern aufgeschnitten, in der Nacht, nachdem er den fehlgeschlagenen Angriff bei Reaves befohlen hatte.«
    »Als er bei der Reveille nicht auftauchte, haben wir entdeckt, dass er verblutet war. Also hör auf, von der guten, alten Zeit zu quatschen. Die war nicht gut, die war beschissen.«
    Adolphus verdrehte die Augen und stand auf. »Beim Erstgeborenen, du hast ja vielleicht eine Laune.«
    Damit lag er nicht falsch. »War ein harter Tag.«
    »Na komm, ich spendier dir ein Bier.« Wir gingen zur Theke, wo er mir einen großen Krug Ale zapfte. Während ich es trank, warteten wir darauf, dass der abendliche Ansturm von Gästen einsetzte.
    »Ich mag den Jungen«, verkündete Adolphus, als sei ihm das gerade erst klar geworden. »Dem entgeht nicht viel, obwohl er Stillschweigen bewahrt, wenn er was beobachtet hat. Hast du ’ne Ahnung, wo er schläft?«
    »Auf der Straße, nehm ich an. Wo Straßenkinder eben so leben.«
    »Nun werd mal nicht sentimental, sonst bekommt die Theke noch Tränenflecken.«
    »Hast du eine Ahnung, wie viele streunende Kinder es in der Unterstadt gibt? An dem Jungen ist nichts Besonderes, und verwandt bin ich auch nicht mit ihm. Vor gestern Abend wusste ich noch nicht mal, dass er existiert.«
    »Willst du behaupten, dass du das wirklich glaubst?«
    Die Ereignisse des Tages lasteten schwer auf mir. »Ich bin zu müde, um mich mit dir zu streiten, Adolphus. Hör auf, um den heißen Brei herumzureden, und sag, worauf du hinauswillst.«
    »Ich möchte ihm anbieten, dass er im Hinterzimmer schlafen kann. Adeline mag ihn nämlich auch.«
    »Das ist deine Kneipe, Adolphus, da kannst du machen, was du willst. Aber ich wette um einen Ockerling mit dir, dass er dein Bettzeug mitgehen lässt.«
    »Abgemacht. Sag ihm Bescheid, wenn er zurückkommt. Ich hab zu tun.«
    Die ersten Gäste trudelten ein und wurden von Adolphus bedient. Ich saß da, trank mein Bier und gab mich melancholischen Gedanken hin. Nach einer Weile kehrte der Junge zurück, in der Hand eine Schale Rindfleisch in Chilisauce. Er hatte ein scharfes Gehör – das musste ich mir merken. Ich nahm die Schale und machte mich über das Fleisch her. »Hat Adolphus dir was zu essen gegeben?«
    Der Junge nickte.
    »Hast du noch Hunger? In deinem Alter war ich immer hungrig.«
    »Nein. Auf dem Rückweg hab ich mir an einem Fischstand was stibitzt«, sagte er, als wäre das etwas, auf das er stolz sein könnte.
    »Heute Mittag habe ich dir doch Geld gegeben, oder?«
    »Ja.«
    »Hast du das schon verpulvert?«
    »Keinen einzigen Kupferling.«
    »Dann brauchst du auch kein Essen zu stehlen. Nur Degenerierte stehlen, wenn sie nicht müssen. Wenn du so weitermachst, kannst du dich fortscheren. Einen Freak, der nur um des Nervenkitzels willen klaut, kann ich nicht brauchen.«
    Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen behagten ihm meine Worte in keiner Weise. Trotzdem schluckte er sie runter und schwieg.
    »Wo schläfst

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