Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
scherzhafte Bemerkung, die zwar nicht sonderlich gelungen war, aber immerhin. »Es ist sehr schön, dich zu sehen«, fuhr sie fort, sich mit jedem Wort abplagend, als wollte sie eigentlich mehr sagen.
Ich starrte auf meine Stiefel, die mir aber nichts verrieten, was ich nicht schon wusste. »Wie ich gehört habe, sollst du Zauberin Ersten Ranges werden. Gratuliere.«
»Ich weiß nicht, ob ich diese Ehre wirklich verdiene. Sicher hat der Einfluss des Meisters viel dazu beigetragen, mir den Weg nach oben zu ebnen.«
»Heißt das, du bekommst die Erlaubnis, architektonische Absonderlichkeiten, die dir ein Dorn im Auge sind, zu zerstören und Diener, die sich schlecht benehmen, in Nagetiere zu verwandeln?«
Ihr Gesicht nahm den gequälten Ausdruck an, den sie als Kind oft gehabt hatte, wenn sie einen Witz nicht mitbekam. »Ich habe mich bemüht, in die Fußstapfen des Meisters zu treten, und deshalb die Spezialgebiete studiert, die er zur Vollendung gebracht hat – Alchemie, Abwehrzauber und Heilkunst. Der Meister hat es nie für angebracht gehalten, sich Praktiken anzueignen, mit denen ein Magier seinen Mitmenschen Böses zufügen kann. Und es würde mir nicht im Traum einfallen, Wegen zu folgen, die er bewusst ignoriert hat. Außerdem ist eine bestimmte Art von Persönlichkeit vonnöten, um die dunklen Seiten der Magie auszuüben – dazu ist keiner von uns imstande.«
Jeder ist zu allem imstande, dachte ich bei mir, sprach es aber nicht aus.
»Er ist ein außergewöhnlicher Mensch. Ich glaube, das war uns als Kindern nie ganz klar. Die Ehre zu haben, zu seinen Füßen zu sitzen und zu lernen …« Sie presste ihre kleinen Hände gegen die Brust und schüttelte den Kopf. »Begreifst du, was sein Abwehrzauber für diese Stadt bedeutet hat? Für dieses Land? Wie viele an der Seuche starben? Wie viele noch gestorben wären, wenn uns sein Abwehrzauber nicht bis heute schützen würde? Bevor er gewirkt wurde, war das Krematorium rund um die Uhr in Betrieb – und das zu einer Zeit, als die Seuche schon im Abklingen war. Als das Rote Fieber einsetzte, war niemand mehr da, um die Leichen zu entsorgen.«
Eine Erinnerung drängte sich mir auf, die Erinnerung an ein Kind von sechs oder sieben Jahren, das vorsichtig über die Leichen von Nachbarn klettert, darauf achtend, nicht auf ihre ausgestreckten Gliedmaßen zu treten, und das um Hilfe schreit, die nie kommen sollte. »Ich weiß, was sein Zauber bewirkt hat.«
»Das weißt du nicht. Ich glaube, das weiß niemand. Wir haben keine Ahnung, wie viele Menschen in der Unterstadt gestorben sind, von den Eiländern und den Dockarbeitern. So, wie es damals um die Hygiene bestellt war, möglicherweise ein Drittel oder die Hälfte oder sogar noch mehr. Ihm haben wir es zu verdanken, dass wir den Krieg gewonnen haben. Ohne ihn wären nicht genug Männer am Leben geblieben, um in den Kampf zu ziehen.« Ihr Blick richtete sich ehrfürchtig nach oben. »Das, was er getan hat, können wir ihm nie vergelten. Niemals.«
Da ich nichts dazu sagte, wurde sie plötzlich befangen und errötete ein wenig. »Aber lassen wir das.« Als sie lächelte, legte sich ein Netz von feinen Runzeln über ihr Gesicht, Runzeln, die schmerzlich mit den Erinnerungen kollidierten, die ich an sie als junge Frau hatte, ein Bild, das ich nicht aus dem Kopf bekam, auch wenn es längst passé war. »Sicher bist du nicht zu uns zurückgekehrt, um dir meine langweiligen Lobpreisungen des Meisters anzuhören.«
»Nicht wirklich.«
Zu spät wurde mir klar, dass meine schwammige Antwort ihr gestattete, sich eine eigene Erklärung für meine Rückkehr zurechtzulegen. »Zwingst du mich dazu, dich zu verhören? Soll ich dich festbinden und die Antwort aus dir rauskitzeln?«
Ich hatte nicht vorgehabt, es ihr zu erzählen – aber andererseits hatte ich auch nicht vorgehabt, Celia wiederzubegegnen. Und es war besser, ihr den wahren Grund meines Hierseins mitzuteilen, als etwaige Phantasien zu schüren, an die sie sich klammerte. »Du hast von der Kleinen Tara gehört?«
Ihr schwüles Grinsen verflüchtigte sich, und sie wurde kreidebleich. »Wir wohnen nicht so weit von der Stadt entfernt, wie du anzunehmen scheinst.«
» Ich habe gestern ihre Leiche gefunden«, sagte ich. »Und ich bin vorbeigekommen, um zu hören, ob der Meister etwas darüber weiß.«
Celia nagte an ihrer Unterlippe – zumindest diese Eigenheit aus unserer Kindheit hatte sich erhalten. »Ich werde Prachetas eine Kerze anzünden, damit sie der
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