Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
Kanals.«
Adolphus warf mir einen grimmigen Blick zu. Dann wandte er sich an Zeisig. »Das Training ist vorbei. Wasch dich und hilf Adeline ein bisschen.«
Ich bemerkte, dass es dem Jungen nicht gefiel, ausgeschlossen zu werden. Doch da Adolphus sehr energisch werden kann, hielt Zeisig den Mund.
Wir warteten, bis beide im Haus waren. »Was meinst du?«, fragte Adolphus.
»Vielleicht hat sie sich ja beim Versteckspielen verirrt. Oder sie ist einem Sklavenhändler ins Auge gefallen und befindet sich, verborgen in einem Fass, bereits auf dem Weg nach Osten. Vielleicht hat ihr Vater sie totgeprügelt und die Leiche irgendwo versteckt. Könnte hundert Gründe haben.«
Er sah mich mit seinem einen Auge durchdringend an. »Sicher. Aber auch einen ganz bestimmten.«
Es ist immer besser, das Schlimmste anzunehmen und von da weiterzumachen. »Richtig.«
»Was hast du vor?«
»Mich rauszuhalten.« Allerdings bezweifelte ich, dass ich diese Möglichkeit hatte. Wenn dies das Werk derselben Bande war, die das erste Mädchen ermordet hatte, würde es Ärger geben – dafür würde die Krone sorgen. Der Tod von Kindern aus der Unterstadt mochte denen ja egal sein, aber eins würden sie mit Sicherheit wissen wollen: wer da dämonische Wesen heraufbeschwor. Nur Vertretern der Krone ist es erlaubt, sich mit schwarzer Magie zu beschäftigen – ein Vorrecht, das sie rigoros verteidigen. Ich war jetzt das einzige Verbindungsglied zu dem Wesen, das den Kirener getötet hatte, und das allein reichte aus, um mir eine Sitzung in den Kellern des Schwarzen Hauses zu bescheren.
»Ob diejenigen, die das Mädchen getötet haben, auch dir an den Kragen wollen?«, fragte Adolphus.
»Ich hab’s aufgegeben, Polizist zu spielen.«
»Und deine ehemaligen Kollegen? Werden die dich ungeschoren davonkommen lassen?«
Ich schwieg. Adolphus kannte die Antwort.
»Tut mir leid, dass ich dich gedrängt habe, dich da einzumischen.«
Plötzlich nahm ich in aller Deutlichkeit die grauen Haare in seinem Bart und die schütteren Stellen in seiner Haarmähne wahr.
»Ich werd mal zum Magierhorst gehen. Vielleicht bekomme ich das alles besser in den Griff, wenn ich mit Blaureiher rede.« Ich ließ Adolphus im Hof zurück und ging nach oben, um meinen Ranzen zu holen. Ich spielte zwar mit dem Gedanken, eine Waffe mitzunehmen, besann mich aber eines Besseren. Wenn man das Mädchen tot auffand, würde ich mit Sicherheit Besuch von der Polizei erhalten, und in dem Fall würde ich nichts von dem, was ich bei mir hatte, jemals wiedersehen. Außerdem würde man gegen das Monster, das ich gesehen hatte, mit Stahl sowieso nichts ausrichten können. Ich verließ die Kneipe und machte mich rasch auf den Weg, während meine Gedanken zu der – wie ich lange angenommen hatte – ersten und gleichzeitig letzten Begegnung mit dem Wesen, das den Kirener getötet hatte, zurückwanderten.
11
Der Krieg war fast vorüber, der Sieg nahezu unser. Überall lag das schändliche Dren danieder. Seine Verteidigungsanlagen waren durchbrochen, seine Burgen von Greisen mit verbogenen Piken und bartlosen Knaben bemannt. Von den siebzehn Territorien, die einst die Vereinigten Provinzen gebildet hatten, waren nur noch vier im Besitz der Dren, und sobald wir Donknacht genommen hatten, würden auch diese die Waffen strecken. Meine fünf langen Dienstjahre, in denen ich getötet und geblutet und mich tagtäglich mühselig vorangekämpft hatte, waren fast vorbei. Wir alle würden den Mittwinter zu Hause verbringen, um am prasselnden Feuer zu sitzen und heißen Grog zu trinken. Wilhelm van Agt, der Hauptstatthalter der Republik Dren, trug sich bereits mit dem Gedanken, einen Waffenstillstand auszuhandeln, der die bedingungslose Kapitulation einleiten sollte.
Unglücklicherweise schien dieser Umstand nicht bis zu den Dren selbst durchgedrungen zu sein, die ihre Hauptstadt wie Löwen verteidigten und den Alliierten Streitkräften erbittert Widerstand leisteten. Fünf Jahre an Vorbereitungen hatten sie in den Stand gesetzt, einen Verteidigungsgürtel zu schaffen, der in der langen Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen wahrscheinlich einzigartig war. Es hatte den Anschein, als hätten sie noch nie davon gehört, dass unter ihren Streitkräften Hunger und Krankheiten herrschten, dass sie bei Karsk und Lauvengod schreckliche Verluste erlitten hatten und dass ihre Sache aussichtslos war. Und falls sie doch davon gehört hatten, dann war ihre Entschlossenheit dadurch in keiner Weise ins
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