Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
Wanken geraten.
Ebendieser allgemeinen Sturheit – einer Sturheit, die schon an Dummheit grenzte – hatte ich es zu verdanken, dass ich mitten in der Nacht aufstehen musste, um mich auf geheime Mission zu begeben. Dass die Logistik völlig versagte und ich und mein Trupp ohne angemessene Tarnung losgeschickt wurden, hatte ich wiederum der Dummheit und Unfähigkeit unserer eigenen Obermimer zu verdanken.
Doch das behielt ich für mich. Offiziere beschweren sich nicht über solche kleinen administrativen Missgeschicke, selbst wenn diese wahrscheinlich dazu führen, dass sie getötet werden.
Der Gefreite Carolinus war da weniger zurückhaltend. »Leutnant, wie sollen wir nachts auf Einsatz gehen, ohne uns das Gesicht schwärzen zu können?«, fragte er wütend, als könnte ich ein Fässchen Ruß aus dem Ärmel zaubern. Der rothaarige und rotwangige Carolinus war Nord-Rouender und gehörte zu jenem besonderen Schlag Menschen, deren Vorfahren vor drei Jahrhunderten nach Vaal vorgedrungen waren und sich dort festgesetzt hatten. Von untersetzter Statur und hart wie die Kohle, die er früher im Bergwerk abgebaut hatte, war er zwar immer der Erste, der sich beschwerte, aber auch immer der Erste, wenn es zum Angriff ging. Offen gestanden fiel er mir mittlerweile gewaltig auf die Nerven, doch nachdem Adolphus wegen Dienstuntauglichkeit nach Haus geschickt worden war, war Carolinus der Einzige, den ich für fähig hielt, den Befehl zu übernehmen, falls mich ein Armbrustbolzen erwischte. »Leutnant, die Dren haben Augen wie Eulen. Wenn unsere Gesichter nicht geschwärzt sind, werden wir bald mit Pfeilen gespickt sein.«
Ich zog die Riemen meines Lederharnischs fest, vergewisserte mich, dass ich all meine Waffen dabeihatte und die Grabenklinge an meiner Seite hing. »Zerbrechen Sie sich darüber mal nicht den Kopf, Gefreiter. Halten Sie lieber Ihr großes Maul, und machen Sie sich bereit, weil’s in einer Viertelstunde losgeht, ob Sie nun splitternackt oder mit Ruß beschmiert sind. Und machen Sie sich keine Sorgen wegen der Feinde. Soviel ich weiß, schießen die nur auf Männer.«
Die anderen lachten, selbst Carolinus grinste, doch unser aller Humor hatte etwas Verkrampftes. Nicht nur, weil wir keinen Ruß zum Schwärzen der Gesichter besaßen. Von unserem Einsatz hatte ich erst vor vierzig Minuten erfahren, als mich ein Adjutant des Kompaniekommandeurs unsanft wach gerüttelt und mir befohlen hatte, ein paar meiner besten Männer auszuwählen und mich beim Major zu melden.
Tatsache war, dass ich bei alldem ein ungutes Gefühl hatte. Donknacht die Unbezwingliche, die Hauptstadt der Dren-Staaten, war seit anderthalb Jahrtausenden unter kein fremdes Joch gezwungen worden. Als die übrigen Dren-Provinzen von ihren Nachbarn geschluckt wurden, war allein Donknacht eine freie Stadt geblieben. Und als vor siebzig Jahren eine Welle des Nationalismus über das Land gegangen war und all diese Staaten zu einer mächtigen Konföderation zusammengeschmiedet hatte, war Donknacht zum Dreh- und Angelpunkt der Republik geworden.
Über die Soldaten der anderen Provinzen konnte ich zwar nichts sagen, doch die Soldaten, die uns jenseits des Niemandslandes gegenüberstanden, schreckten vor keinem Himmelfahrtskommando zurück und starben mit Flüchen auf den Lippen. Ohne einen Großangriff, der durch Artilleriebeschuss und Zauberei unterstützt wurde, waren ihre Verteidigungsanlagen nicht zu überwinden, und selbst dann würde uns das Ganze wahrscheinlich noch eine halbe Division kosten. Das setzte allerdings voraus, dass sich die Dreckskerle nicht in die Stadt zurückzogen und um jedes Haus, jede Straße mit uns kämpften. Wie alle anderen hoffte auch ich, dass an den Gerüchten vom Waffenstillstand was dran war und unser langer Vormarsch hier, auf der Ebene vor der Hauptstadt, ein Ende finden würde. So oder so war mir schleierhaft, was fünf einzelne Stoppelhopser an der Lage ändern sollten, sei’s mit, sei’s ohne geschwärztes Gesicht.
Ich drehte mich Saavedra zu, der unser Vordermann war, seit ein Artilleriegeschoss dem armen Donnely die Schädeldecke weggerissen hatte. Seine dunklen Augen und der strenge Gesichtsschnitt verrieten, dass er von den Ashern abstammte, obwohl niemand von uns zu sagen vermochte, warum er in unsere gemischte Einheit eingetreten war statt in eines der Regimenter seines eigenen Volks. Saavedra weigerte sich stets, darüber zu sprechen, und war überhaupt sehr schweigsam. Die Männer der Ersten
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