Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
als wäre ich Ermittlungsbeamter, hatte sich als noch frustrierender erwiesen, als tatsächlich einer zu sein.
Dann brach ein Bandenkrieg zwischen der Gang vom Zerbrochenen Dolch und einer Eiländerclique von den Docks aus, sodass ich mich tagtäglich voll und ganz darauf konzentrieren musste, nicht unter die Räder zu kommen. Wenn ich beispielsweise den Nachmittag damit verbrachte, irgendwelchen Häretikern mit versteinertem Gesicht zu erklären, warum ich ihnen für meine Operationen keine Abgaben schuldig war, und abends eine Horde von zugedröhnten ruppigen Jugendlichen davon überzeugte, dass ich zu verrückt war, um eine Gefahr darzustellen, blieb nicht mehr viel Zeit für außerplanmäßige Aktivitäten.
Was den Rest der Einwohner von Rigus anging, so hielten die wichtigen Leute den Fall für erledigt. Die unwichtigen Leute zählten ohnehin nicht. Die eiskalten Teufel sorgten dafür, dass von der ganzen Geschichte kaum etwas an die Öffentlichkeit drang. Hier und da wurde von schwarzer Magie gemunkelt und von Dämonen, die im Dunkeln lauerten, und eine Zeit lang boomte der Verkauf von Schutzamuletten fragwürdiger Art, besonders unter den Kirenern, die von Natur aus sehr abergläubisch sind. Doch die Unterstadt ist ein betriebsames Viertel, und als der Herbst in den Winter überging, geriet der Mord an Tara Potgieter allmählich in Vergessenheit.
Ich spielte mit dem Gedanken, zum Magierhorst zu gehen, um Blaureiher über die Geschehnisse zu informieren, weil ich der Ansicht war, ihm das schuldig zu sein. Andererseits war ich ihm so viel schuldig, dass ich es nie schaffen würde, die ganze Schuld abzutragen. Deshalb beschloss ich, auch diese letzte Schuld unbeglichen zu lassen. Das würde er verstehen, im Gegensatz zu Celia. Wenn man lange genug an Schorf rumkratzt, fängt die Wunde wieder an zu bluten. Dieser Teil meines Lebens gehörte der Vergangenheit an – soweit es mich betraf, war unsere Wiederbegegnung ein singuläres Ereignis.
Trotz aller Mühe, die sich Adeline gab, weigerte sich Zeisig, die Nacht über im Torkelnden Grafen zu bleiben. Wie eine halb gezähmte Ausgabe seines Namensvetters kam er immer mal wieder hereingeschwirrt, um sich was zu essen zu schnappen und anschließend wieder auszufliegen, ohne ein Wort zu sagen. Einmal erwischte ich ihn dabei, wie er an einem Stand etwas mitgehen ließ. Danach blieb er eine ganze Woche verschwunden, was zur Folge hatte, dass Adeline krank vor Sorge und wütend auf mich war. Doch eines Abends tauchte er plötzlich wieder auf und kam zur Hintertür herein, als wäre nichts geschehen.
Obwohl es ihm widerstrebte, ein geregeltes Leben zu führen, war er immer da, wenn ich ihn brauchte, und erwies sich als große Hilfe bei meinen Operationen. Aus gefährlichen Aktionen hielt ich ihn raus und ließ es nie zu, dass er als Drogenkurier fungierte. Doch seine jungen Beine waren äußerst nützlich, wenn ich jemandem eine Nachricht zukommen lassen musste. Im Laufe der Zeit gewöhnte ich mich an seine lakonische Präsenz. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die nicht mit dem Bedürfnis geschlagen sind, einen ständig vollzuquatschen.
Adolphus bot dem Jungen an, ihm das Boxen beizubringen, und obwohl es Zeisig fuchste zuzugeben, dass er etwas noch nicht konnte, war er doch klug genug, das Angebot anzunehmen. Wie sich zeigte, hatte er auch Talent dafür. Gelegentlich sah ich zu, wenn die zwei trainierten, und beobachtete, während ich gemütlich einen Joint mit Traumranke rauchte, wie Adolphus in all seiner Körperfülle die Grundregeln der Beinarbeit demonstrierte. Diesem Müßiggang gab ich mich auch eines Nachmittags hin, als Adeline mich unwissentlich auf den Pfad des Verderbens schickte.
»Fünf Schläge gegen die Brust kann man leichter aushalten als einen gegen den Kopf«, sagte Adolphus, dessen fettes Gesicht schweißüberströmt war, genau in dem Augenblick, als seine Frau in den Hof kam. »Immer die Hände oben behalten«, fuhr er fort, während Zeisig ihm alles nachmachte.
Adeline spricht meistens so leise, dass es wie ein Schrei wirkt, wenn sie die Stimme einmal erhebt. »Es ist wieder ein Mädchen verschwunden.«
Beinahe hätte ich vergessen, den Rauch auszuatmen. Adolphus ließ die Hände sinken. »Wann?«, fragte er mit heiserer Stimme. »Wer ist es?«
»Letzte Nacht. Anne aus der Bäckerei hat es mir erzählt. Die Stadtwache sucht bereits nach der Kleinen. Kennen tu ich sie nicht. Anne sagt, ihr Vater sei Schneider und wohne in der Nähe des
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