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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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fragendem Ton zu mir.
    »Denke ich auch.«
    »Lauf in die Zentrale«, befahl Wendell seinem Untergebenen, »und sag denen, sie sollen nach einem Ermittlungsbeamten schicken. Am besten gleich nach zweien.«
    Die Stadtwache sorgt in der Stadt für Ruhe und Ordnung – sofern man sie nicht schmiert, damit sie ein Auge zudrückt –, doch die Untersuchung von Verbrechen fällt nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Die Leute von der Stadtwache müssen einen Mörder schon mit blutigem Messer neben der Leiche erwischen, ansonsten taugen sie nicht viel. Und bei einem Verbrechen, das jemand, der zählt, für von Belang hält, wird ein Ermittlungsbeamter der Krone losgeschickt, der den offiziellen Auftrag hat, im Namen des Throns für Gerechtigkeit zu sorgen. Die eiskalten Teufel, die Schneemänner, die grauen Schatten – egal, wie man sie nennt, Hauptsache, man beugt den Kopf, wenn sie vorübergehen, und antwortet rasch, wenn sie einen etwas fragen. Denn die sind von anderem Kaliber als die Stadtwache, und wenn es etwas gibt, das noch gefährlicher ist als eine unfähige Gendarmerie, dann ist es eine, die ihr Handwerk versteht. Normalerweise schenken sie einer in der Unterstadt aufgefundenen Leiche keine Aufmerksamkeit – ein Umstand, der bei der Mordrate wahre Wunder wirkt. Doch hier handelte es sich nicht um einen Betrunkenen, der in einer Pfütze ersoffen war, oder um einen erstochenen Junkie. Bei diesem Fall würde man einen Ermittlungsbeamten schicken.
    Ein paar Minuten später traf eine kleine Abteilung von Stadtwächtern ein. Zwei von ihnen machten sich daran, die Umgebung abzusperren. Die anderen standen bloß herum und taten wichtig. Was ihnen nicht sonderlich gut gelang, aber ich brachte es nicht übers Herz, ihnen das mitzuteilen.
    Entweder weil das lange Warten ihn langweilte oder weil er den anderen vorführen wollte, wie clever er war, beschloss Wendell, sich mal in Polizeiarbeit zu versuchen. »Ist wahrscheinlich irgendein Häretiker gewesen«, sagte er, sich am Doppelkinn kratzend. »War von den Docks zum Kirenerviertel unterwegs, sah das Mädchen und …« Er machte eine abrupte Geste.
    »Ja. Wie ich gehört habe, kommt so was öfter vor.«
    Sein Partner mit dem Babygesicht mischte sich ein, um gehässig Gift zu verspritzen. »Vielleicht war es auch ein Eiländer. Man weiß ja, wie die sind.«
    Wendell nickte weise. Er wusste in der Tat, wie die waren.
    Mir war zu Ohren gekommen, dass man in einigen moderneren psychiatrischen Abteilungen den Verrückten und von Geburt an Schwachsinnigen mechanische Arbeiten zuwies, indem man sie zum Beispiel Knöpfe an Stoffballen annähen ließ. Diese nutzlose Arbeit sollte der Beschwichtigung ihres verstörten Geistes dienen. Manchmal frage ich mich, ob die Stadtwache nicht in diese Therapie einbezogen ist, will sagen, ein raffiniertes soziales Programm darstellt, das geistig Minderbemittelten die Illusion sinnvoller Tätigkeit vorgaukelt.
    Aber es ging natürlich nicht an, den Teilnehmern am Programm den Spaß zu verderben. Diese Erkenntnisblitze schienen Wendell und seinen Untergebenen so zu erschöpfen, dass sie in Schweigen verfielen.
    Der Herbstabend jagte die letzten Fetzen Tageslicht über die Skyline. Die Geräusche ehrlicher Handelstätigkeit – sofern es so was in der Unterstadt überhaupt gibt – wichen gespannter Stille. In einem der umliegenden Wohnhäuser hatte jemand ein Holzfeuer entfacht, dessen Rauch die Leiche fast völlig einhüllte. Ich drehte mir eine Zigarette, um das, was man noch sehen konnte, vollends zu vernebeln.
    Man spürte ihr Kommen, bevor man sie sah, weil die Leute auf der Straße eilig davonhuschten, um ihnen auszuweichen. Gleich würde man sie selbst zu sehen bekommen. Die eiskalten Teufel waren stolz auf die Uniformität ihrer Kleidung. Jeder von ihnen stellte das austauschbare Mitglied einer kleinen Armee dar, die die Stadt und den größten Teil des Landes fest im Griff hatte. Ihre Kleidung bestand aus einem langen eisgrauen Mantel mit hochgestelltem Kragen sowie einem breitkrempigen Hut von gleicher Farbe. Am Gürtel hing ein Kurzschwert mit Silbergriff, das sowohl ein ästhetisches Wunderwerk als auch eine perfekte Waffe darstellte. Um den Hals trugen sie einen dunklen, in Silber gefassten Edelstein – das Auge der Krone, das offizielle Symbol ihrer Funktion. Rundum die Verkörperung von Recht und Ordnung, eine geballte Faust im samtenen Handschuh.
    Auch wenn ich es nie laut sagen würde, und auch wenn ich mich schämte, es

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