Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
einen seltsamen Kontrast zu seinem Haar ergab. »Wir sind wohl ein Wunderkind, was? Nehme an, Intelligenz ist in Ihrer Familie erblich.« Guiscard ballte die Faust. Ich grinste ihn breit an.
Crispin trat zwischen uns. »Lassen Sie das«, herrschte er uns an. »Wir müssen uns an die Arbeit machen. Guiscard, Sie kehren ins Schwarze Haus zurück und sagen denen, Sie sollen einen Seher schicken. Wenn Sie sich beeilen, besteht die Chance, dass er noch etwas entdeckt. Die anderen bilden einen Kordon. In zehn Minuten wird es hier von Neugierigen nur so wimmeln, und ich will nicht, dass sie am Tatort herumtrampeln. Und einer von Ihnen sollte um Sakras willen die Eltern dieses armen Kindes benachrichtigen.«
Guiscard warf mir einen finsteren Blick zu, der jedoch an mir abprallte, und stapfte davon. Ich schüttelte ein paar Tabakblätter aus meinem Beutel, um mir ein Stäbchen zu drehen. »Dein neuer Partner ist ja eine ganz schöne Nervensäge. Wessen Neffe ist er denn?«
Crispin deutete ein Lächeln an. »Des Grafen von Grenwick.«
»Wie schön, dass sich nichts geändert hat.«
»Er ist nicht so übel, wie er aussieht. Du hast ihn eben provoziert.«
»Er hat sich leicht provozieren lassen.«
»Das war bei dir früher auch so.«
Damit hatte er vermutlich recht. Die Jahre hatten mich milder werden lassen, zumindest bildete ich mir das ein. Ich bot meinem Ex-Partner die Frischgedrehte an.
»Ich hab’s aufgegeben. Hat mich kurzatmig gemacht.«
Ich klemmte mir die Zigarette zwischen die Lippen. Die Jahre unserer Freundschaft lagen wie etwas Peinliches zwischen uns.
»Wenn du etwas entdeckst, dann melde dich bei mir. Unternimm nichts auf eigene Faust, ja?«, sagte Crispin halb fragend, halb im Befehlston zu mir.
»Ich kläre keine Verbrechen auf, Crispin, ich bin doch kein Ermittlungsbeamter.« Ich strich ein Streichholz an der Mauer an und entzündete meine Zigarette. »Dafür hast du gesorgt.«
»Dafür hast du selbst gesorgt. Ich habe nur deinen Abstieg beobachtet.«
Das dauerte alles schon viel zu lange. »An der Leiche war ein merkwürdiger Geruch. Möglicherweise ist er inzwischen verflogen, aber es dürfte sich lohnen, das nachzuprüfen.« Ich brachte es nicht über mich, ihm viel Glück zu wünschen.
Als ich die Gasse verließ, strömten bereits die Schaulustigen zusammen. Menschliches Elend zieht die Leute immer magnetisch an. Der Wind hatte aufgefrischt. Ich zog meinen Mantel fester um mich und beschleunigte den Schritt.
3
Im Torkelnden Grafen war das Wochenendgeschäft schon voll im Gange. Adolphus’ Gruß hallte von den Wänden wider, als ich mich durch die dicht gedrängten Gäste kämpfte und an der Theke Platz nahm. Er schenkte mir ein Glas Bier ein und beugte sich zu mir, als er es mir reichte. »Der Junge hat deinen Ranzen gebracht. Ich hab ihn in dein Zimmer gestellt.«
Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass der Bengel Wort halten würde.
Adolphus stand betreten da, während sich ein bekümmerter Ausdruck in sein verunstaltetes Gesicht schlich. »Er hat mir erzählt, was du gefunden hast.«
Ich trank einen Schluck Bier.
»Wenn du drüber reden möchtest …«
»Möcht ich nicht.«
Das Ale war dickflüssig und dunkel, und ich leerte ein halbes Dutzend Gläser, um den Anblick der verdrehten Hände und der blassen, geschundenen Haut aus dem Kopf zu bekommen. Um mich herum wogte die Menge – Fabrikarbeiter, die ihre Schicht hinter sich hatten, und Prahlhänse, die ihre nächtlichen Eskapaden planten. Wir machten so viel Umsatz, dass ich wieder mal daran erinnert wurde, warum ich Mitinhaber einer Kneipe war. Doch all die liebenswürdigen Proleten, die hier ihren billigen Schnaps süffelten, waren angesichts meiner Stimmung nicht die rechte Gesellschaft für mich.
Ich trank mein Glas aus und erhob mich.
Adolphus wandte sich von einem Gast ab und kam zu mir. »Du willst schon gehen?«
Ich grunzte bejahend. Mein Gesichtsausdruck muss gewaltbereit gewirkt haben, denn als ich mich wegdrehte, legte er mir seine riesige Pranke auf den Arm.
»Brauchst du eine Waffe? Oder einen Begleiter?«
Ich schüttelte den Kopf. Er zuckte die Achseln und machte sich wieder daran, die Gäste vollzuquatschen.
Schon vor einem halben Monat hatte ich mir vorgenommen, Tancred der Hasenscharte einen Besuch abzustatten. Damals hatte ich beobachtet, wie einer seiner Leute in meinem Revier Traumranke vertickt hatte. Tancred war ein kleiner Ganove, der es mittels einer unappetitlichen Mischung aus
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