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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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Gewalttätigkeit und Gerissenheit geschafft hatte, sich ziemlich weit nach oben zu boxen. Doch sehr lange würde er seine Position sicher nicht halten können. Er würde seine Jungs unterbezahlen oder versuchen, die Stadtwache um ihren Anteil zu bescheißen, oder einem Syndikat auf die Füße treten und mit einem Dolch im Bauch in einer Gasse enden. Ich hatte es bisher nicht für dringend nötig gehalten, seine Verabredung mit Ihr-die-am-Ende-aller-Dinge-steht zu beschleunigen, doch in unserem Geschäft darf man keine Fehler machen. Wenn er in meinem Revier Drogen verkaufte, signalisierte er mir damit etwas. Und allein die Etikette erforderte eine Reaktion.
    Hasenscharte hatte sich westlich vom Kanal, nahe Offbend, ein kleines Revier gesichert und leitete seine Operationen von einer Spelunke aus, die Zur blutenden Jungfrau hieß. Er verdiente sein Geld größtenteils mit Sachen, die für die Jungs vom Syndikat zu klein oder zu mies waren, das heißt, er vertickte Wurmkraut oder erpresste Schutzgeld von den Kaufleuten des Viertels, die jämmerlich genug waren, sich darauf einzulassen. Es war ein langer Weg bis zu seinem bekackten Etablissement, doch bis dahin würde sich wenigstens der Bierdunst aus meinem Kopf verflüchtigt haben. Ich ging nach oben, um eine Flasche Koboldatem zu holen, und brach auf.
    Im westlichen Teil der Unterstadt war alles ruhig. Die Kaufleute waren nach Hause gegangen, und das Nachtleben fand im Süden statt, in der Nähe der Docks. Deshalb legte ich meinen Weg zum Kanal mehr oder weniger in Einsamkeit zurück. So spät am Abend sah die Herm-Brücke, deren marmorne Verzierungen im Laufe der Zeit und aufgrund mutwilliger Zerstörungen unkenntlich geworden waren, nicht nur verfallen, sondern geradezu bedrohlich aus. Die schrundigen Hände steinerner Daevas reckten sich flehend zum Himmel, von ihren Gesichtern waren nur noch die Augenhöhlen und die weit aufgerissenen Münder übrig geblieben. Unter der Brücke floss träge der Andel dahin, um den Müll der Stadt wie in einer feierlichen Prozession in Richtung Hafen und dann ins Meer zu tragen. Ich setzte meinen Weg fort, bis ich eine halbe Meile weiter westlich am Eingang eines unscheinbaren Gebäudes haltmachte.
    Aus dem ersten Stock drang Lärm auf die dunkle Straße. Ich zog mir mehrmals hintereinander Koboldatem rein, bis die Flasche leer war und sich das Summen in meinen Ohren anhörte, als kreiste mir ein Schwarm Bienen um den Kopf. Dann schmetterte ich die Flasche gegen eine Mauer und eilte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch.
    Zur blutenden Jungfrau gehörte zu jener Art von Kaschemmen, bei denen man das Bedürfnis hatte, sich erst mal mit Lauge zu schrubben, wenn man sie wieder verließ. Im Vergleich dazu wirkte die Atmosphäre im Torkelnden Grafen wie eine Teegesellschaft am königlichen Hof. Fackeln warfen schmieriges Licht auf das unappetitliche Interieur, das aus einer Reihe von verkommenen Räumen bestand, die Hasenscharte stundenweise vermietete, zusammen mit einem ganzen Stall erbärmlicher Huren. Letztere fungierten auch als Kellnerinnen, wobei trotz der funzligen Beleuchtung deutlich zu erkennen war, dass sie ihren Beruf schon längere Zeit ausübten.
    Gegenüber einem Loch in der Wand, das als Fenster diente, suchte ich mir einen Platz und winkte eine der Kellnerinnen heran. »Du weißt, wer ich bin?«, fragte ich sie. Sie hatte mausbraunes Haar, ein längliches Gesicht und einen stumpfen, ausdruckslosen Blick. Sie nickte. »Bring mir etwas, in das niemand reingespuckt hat, und sag deinem Boss, dass ich hier bin.« Ich schnippte ihr eine Kupfermünze zu und beobachtete, wie sie mit schleppendem Schritt davonging.
    Die Wirkung des Koboldatems hatte voll eingesetzt. Ich presste meine Fäuste gegen die Seite, damit sie nicht zitterten. Wachsam beäugte ich die Gäste und dachte bei mir, wie sehr eine gezielte Brandstiftung die Qualität dieses Viertels verbessern würde.
    Nach ein paar Minuten kehrte die Serviererin mit einem halb vollen Krug zurück. »Er kommt gleich«, teilte sie mir mit.
    Das Bier bestand größtenteils aus Regenwasser. Während ich es runterwürgte, versuchte ich, nicht an das Kind zu denken.
    Die Hintertür öffnete sich. Hasenscharte und zwei seiner Jungs kamen reingeschlichen. Tancred trug seinen Beinamen zu Recht – die Spalte in seinem Gesicht teilte seinen Mund in zwei Teile, eine Anomalie, die auch sein dichter Bart nicht zu kaschieren vermochte. Abgesehen davon gab es allerdings nichts

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