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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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vergangen.

2
    Ich nahm mir ein paar Sekunden Zeit, um die Lage zu peilen. Die Ratten der Unterstadt sind ein gieriger Haufen. Folglich wies der Umstand, dass die Leiche nicht angenagt war, darauf hin, dass sie noch nicht lange dort gelegen haben konnte. Ich hockte mich neben sie und legte die Hand auf die kleine Brust – kalt. Als man sie hier abgeladen hatte, war sie schon eine Weile tot gewesen. Aus nächster Nähe konnte ich dann deutlicher sehen, was ihr Peiniger ihr alles angetan hatte. Schaudernd wich ich zurück. Dabei fiel mir ein seltsamer Geruch auf, nicht der süßliche Gestank verwesten Fleisches, sondern ein beißender, chemischer Geruch, der ein Kratzen in meinem Hals hervorrief.
    Ich verließ die Gasse und trat auf die Hauptstraße hinaus, wo ich zwei Straßenbengel heranwinkte, die in der Nähe herumlungerten. Bei den unteren Klassen hat mein Name einiges Gewicht. Deshalb kamen sie ganz aufgeregt herbeigeeilt, so als erwarteten sie, dass ich sie bei irgendeiner Unternehmung brauchen würde. Ich gab demjenigen der beiden, der mir nicht sonderlich schlau schien, einen Kupferling und befahl ihm, einen Stadtwächter zu holen. Als der Junge um die Ecke verschwunden war, wandte ich mich seinem Kameraden zu.
    Ich versorge die halbe Wache der Unterstadt mit Huren und gepanschtem Bier, sodass von der Stadtwache keine Schwierigkeiten zu erwarten waren. Doch bei einem Mord dieser Art würde sich ein Ermittlungsbeamter einschalten, und wer immer das war, könnte dumm genug sein, mich für verdächtig zu halten. Also musste ich unbedingt meine Ware loswerden.
    Der Junge hatte eine blasse Haut und starrte mich mit seinen braunen, tief in den Höhlen liegenden Augen an. Wie die meisten Straßenkinder war er ein Mischling, seine Gesichtszüge spiegelten die drei Völkerschaften Riguns sowie diverse fremdrassische Einschläge wider. Selbst nach den Maßstäben der Armen und Besitzlosen war er entsetzlich dünn. Die Lumpen, die er trug, reichten in keiner Weise aus, um seine vorstehenden Schulterblätter und knochigen Arme zu verbergen.
    »Du weißt, wer ich bin?«
    »Du bist der Patron.«
    »Kennst du die Kneipe Zum torkelnden Grafen ?«
    Unverwandt sah er mich mit weit aufgerissenen Augen an und nickte. Ich hielt ihm meinen Ranzen hin.
    »Nimm das und bring es dem Zyklopen hinter der Theke. Richte ihm aus, ich hätte gesagt, er soll dir einen Silberling geben.«
    Als er die Hand nach dem Ranzen ausstreckte, packte ich ihn beim Genick. »Ich kenne jede Hure, jeden Taschendieb, jeden Junkie und jeden Schläger der Unterstadt und werde dein Gesicht nicht vergessen. Wenn der Ranzen bei meiner Rückkehr nicht da ist, werde ich dich zu finden wissen. Verstanden?« Ich packte ihn noch fester beim Genick.
    Er zuckte nicht mal zusammen. »Ich bin kein Gauner.« Seine Stimme überraschte mich, denn sie klang fest und selbstsicher. Ich hatte mir den Richtigen ausgesucht.
    »Dann ab mit dir.« Sobald ich ihn losgelassen hatte, sprintete er davon.
    Ich ging in die Gasse zurück und rauchte eine Zigarette, während ich auf die Bullen wartete. Sie brauchten länger, als ich es angesichts der Ernsthaftigkeit der Situation erwartet hatte. Es ist beunruhigend festzustellen, dass die geringe Meinung, die man von der Polizei hat, immer noch nicht gering genug ist. Zwei Lullen später kam der erste Junge mit zwei Stadtwächtern im Schlepptau zurück.
    Ich kannte die beiden, wenn auch nicht sehr gut. Der eine war bei der Polizei neu, gehörte ihr erst seit sechs Monaten an, während ich den anderen schon seit Jahren schmierte. Mal sehen, was mir das nutzen würde, falls es hart auf hart kam. »Hallo, Wendell.« Ich streckte die Hand aus. »Schön, dich wiederzusehen, selbst unter diesen Umständen.«
    Wendell schüttelte mir kräftig die Hand. »Freut mich ebenfalls«, sagte er. »Ich hatte gehofft, der Junge würde uns was vorschwindeln.«
    Darauf gab es nicht viel zu sagen. Wendell kniete sich neben die Leiche, wobei sein Kettenhemd durch den Dreck schleifte. Das Gesicht seines jungen Kollegen, der hinter ihm stand, nahm jene Schattierung von Weiß an, die einen Kotzanfall einleitet. Wendell blickte über die Schulter und schnauzte ihn an. »Beherrsch dich! Du bist ein verdammter Stadtwächter – also zeig gefälligst, dass du Mumm hast!« Dann wandte er sich wieder der Leiche zu. Offenbar wusste er nicht so recht, was er als Nächstes tun sollte. »Denke, es wäre besser, einen Ermittlungsbeamten holen zu lassen«, sagte er in halb

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