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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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ich brauchte, lieferte mir die Unterstadt. Essen stahl ich, meine anderen bescheidenen Bedürfnisse stillte ich durch Gewalt oder List. Ich wurde knallhart und so bissig wie ein wilder Hund. Nachts streifte ich durch die Straßen und beobachtete, wie sich der Abschaum der Stadt im Dunkeln herumtrieb. Auf einem dieser Streifzüge fand ich sie, das heißt, zuerst hörte ich sie, hörte ihre Angstschreie, die aus einer Gasse kamen.
    Es waren zwei, beide wurmkrautsüchtig, beide völlig zugeknallt. Der Eine war uralt und stand schon mit einem Fuß im Grab. Sein verfaultes Zahnfleisch zeugte von der Schwere seiner Sucht, die Lumpen, in die er gekleidet war, wimmelten von Ungeziefer. Sein Protegé, ein paar Jahre älter als ich, war unnatürlich dürr, hatte dünnes rotes Haar und Augen, die unangenehm weit auseinanderstanden. Die beiden hatten ein kleines Mädchen am Wickel, dem es vor Angst inzwischen die Sprache verschlagen hatte und das leise vor sich hin weinte.
    Mein Leben mitten in Abfall und Dreck hatte mich in die Geheimnisse der Schabe und der Ratte eingeweiht, sodass ich mich auf eine Art fortbewegte, die eher dem Huschen dieser Tiere als dem gewöhnlichen Gang eines Kindes in meinem Alter glich. Dadurch und aufgrund der Dunkelheit war ich praktisch unsichtbar, obwohl die zwei vor mir ohnehin so auf das Mädchen konzentriert waren, dass es schon einer Marschkapelle bedurft hätte, um sie von ihrem Opfer abzulenken. Ich presste mich gegen die Mauer der Gasse und schlich mich an, eher aus Neugier als aus sonst einem Grund, wobei ich darauf achtete, außerhalb des Mondlichts zu bleiben, das in die Gasse fiel.
    »Mindestens drei oder vier Stängel kriegen wir für die, mindestens drei oder vier Stängel!«, sagte der Alte, während er dem Kind mit seinen knotigen Fingern durch das Haar fuhr. »Wir bringen sie zum Häuptling der Häretiker und sagen, er soll dafür eine Pfeife mit seinem reinsten Stoff rausrücken.« Der Angeredete stand stumm da, und seine fahlen idiotischen Gesichtszüge verrieten, dass er kaum etwas von dem begriff, was sein Kompagnon sagte.
    »Ich kauf sie euch ab«, sagte ich spontan. In jenen Tagen machte ich oft so was – kaum schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, da hallte seine Formulierung auch schon vom Firmament wider.
    Der Jüngere drehte sich um, eine Bewegung, die aufgrund seiner benebelten Sinne schwerfällig und langsam ausfiel. Der Ältere war schneller. Er packte das Mädchen und drückte sie an sich, fast wie um sie zu beschützen. Einen Augenblick lang war nichts als ihr Wimmern zu hören. Dann gab der Ältere ein verschleimtes Lachen von sich.
    »Sind wir in dein Jagdrevier eingedrungen, edler Herr? Sei ohne Sorge, wir bleiben nicht lange.« Er war einer jener Junkies, die etwas dargestellt hatten, bevor das Wurmkraut sie zerrüttet hatte. Möglicherweise war er Professor oder Rechtsanwalt gewesen, und obwohl sein ganzes Denken und Trachten längst auf niedrigste Bedürfnisse reduziert war, hatte er sich die Fähigkeit bewahrt, sich gehoben auszudrücken.
    Ich griff in den Stiefel und holte meinen gesamten Geldvorrat heraus, drei Silberlinge, die ich irgendwo gefunden oder gestohlen hatte, sowie einen Ockerling, den mir Rob Einauge fürs Schmierestehen gegeben hatte, nachdem er in die alte Bank in der Light Street eingebrochen war. »Dafür könnt ihr euch ’ne Menge Stoff kaufen. Das ist ein faires Geschäft.« Ich wusste nicht genau, wie viel man für ein Kind bekam, aber wesentlich mehr konnte es nicht wert sein, dafür gab es zu viele streunende Kinder in der Stadt.
    Die zwei starrten einander benommen an und versuchten, diese neue Entwicklung in ihren dumpfen Reptilienhirnen zu verarbeiten. Wenn man ihnen genug Zeit ließ, würde einer von ihnen draufkommen, dass es leichter war, mich zu töten und mir mein Geld abzunehmen, als auf meine Forderungen einzugehen. Ich durfte ihnen also keine Gelegenheit geben, lange nachzudenken.
    In der einen Hand hielt ich das kleine Päckchen mit Münzen, mit der anderen klappte ich das Rasiermesser auf, das ich zusammen mit dem Geld aus dem Stiefel gezogen hatte. »Gebt mir das Mädchen«, sagte ich. »Ihr habt die Wahl, wie ihr bezahlt werden wollt – mit Geld oder mit Stahl.«
    Der Jüngere kam drohend auf mich zu, doch als ich ihm fest in die Augen sah, blieb er sofort stehen. Ich klimperte mit den Münzen.
    »Geld oder Stahl. Entscheidet euch.«
    Der Alte, der das Kind festhielt, stieß erneut ein verschleimtes Lachen aus, was mir

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