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Der Herr der zerstörten Seelen

Der Herr der zerstörten Seelen

Titel: Der Herr der zerstörten Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit einer Seilbahn noch an den Hang gebracht werden. Ihre Mutter hatte Dorothea finanzielle Hilfe angeboten, aber dann lautstark protestiert: »Wahnsinn ist das! Was soll denn das werden, einen halben Berg abzutragen, damit du über diesen dämlichen See gucken kannst, auf den es sowieso die Hälfte des Jahres regnet!«
    »Also erstens ist das kein dämlicher See. Das ist der schönste See Oberbayerns. Zweitens siehst du das ganze Gebirge, gut, zugegeben, bei klarer Sicht. Drittens kann Kati auf der Terrasse mit ihren Freundinnen spielen. Und schließlich, Mama, mache ich daraus auch mein Büro. Ich jedenfalls kann mir keinen schöneren Platz zum Schreiben vorstellen …«
    Natürlich schlossen sich Katis Kinderspiele und die Schreiberei gegenseitig aus. Das hatte Do damals nicht bedacht. Sie hatte gerade ihr erstes politisches Buch, ›Die Machtbesessenen‹, auf die Bestseller-Liste gebracht, gleich eine ordentliche Vorauszahlung für ein zweites vom Verlag erhalten und den alten Bauernhof über Starnberg mit ihrer üblichen, ebenso zähen wie aggressiven Energie in ein gemütliches Zuhause umgewandelt: nicht zu groß, aber auch nicht zu klein, nicht protzig, aber mit Stil und Geschmack. Und vor allem so, daß sich jede Alleinerziehende-Mutterproblematik von selbst in Wohlgefallen auflöste – Dorothea hatte alles vor sich gesehen, ganz genau hatte sie es sich in ihrer Phantasie zurechtgelegt: Unbelastet von Streß würde sie sich Kati widmen können. Was sie selbst anging, würde sich nicht viel ändern: an den Wochenenden ein paar Freunde, gelegentlich ein Liebhaber, dem man allerdings die Deponierung einer Zahnbürste im Haus verbieten mußte, dennoch, alles hübsch romantisch, mit einem Glas in der Hand das Abendbrot abwarten und dann sinnend auf die Lichter starren, die den See umgrenzen …
    Natürlich kam alles ganz anders. Und was Do mit links in den Griff kriegen wollte, entglitt ihren Händen. Die Bestsellerei erwies sich als mieses Lotteriespiel, und vor dem Schuldenberg, der sich nach der Fertigstellung des Baues auftürmte, blieb die einzige handgreifliche Realität das Angebot von Schmidt-Weimar, des Herausgebers von ›Heute‹, den gerade freigewordenen Chef-Reporterposten anzunehmen. Dorothea mußte zugreifen. Dazu war das Gehalt zu sensationell. Außerdem hatte sie freie Themenwahl und bei Aufträgen der Chefredaktion ein Einspruchsrecht, aber es war ihr trotzdem nicht wohl, als sie unterschrieb. Was der Vertrag wirklich bedeutete, nämlich Streß rund ums Jahr, sollte sie bald erfahren …
    Und jetzt?
    Jetzt stolperte sie, den ganzen Nahost-Horror-Trip noch in den Knochen, über den Schnee und kletterte die schmale Außentreppe zu ihrer Terrasse hoch. Nur eines blieb wirklich: dieser ekelhafte Gestank.
    Und noch etwas.
    Glut. Ein Glutnest mitten auf der Terrasse, nicht viel größer als eine Faust, aber noch hell genug, um den riesigen unappetitlichen, naß glänzenden Brandhaufen zu beleuchten, der sich in der Mitte der Terrasse erhob.
    Dorothea war stehen geblieben.
    Ziellos hüpfte der Lichtfleck ihrer Taschenlampe über ein Chaos aus schwarzbraunen oder verkohlten Resten: Stoffetzen, angesengte Kartonstücke, verbrannte Buchhälften, Bilderrahmen mit zersprungenem Glas. Direkt vor Do glimmte etwas. Sie gab ihm einen nervösen Tritt. Das Ding kreiselte dem Brandhaufen zu. Es war eine Puppe, Katis Lieblingspuppe. Do hatte sie ihr zur Kommunion geschenkt, und Kati hatte sie ›Betsy‹ getauft. Bald hatten sich Betsy und Kati als unzertrennlich erwiesen. Ohne Betsy zu schlafen – kam nicht in Frage! Auch beim Essen saß Betsy neben dem Teller. Sie mußte sogar mit in die Badewanne.
    Und nun?
    Nun hatte Betsy keinen Kopf mehr. Von ihrem langen blonden, schimmernden Haar war eine einzige Flechte übriggeblieben. Die war braun versengt. Die Hitze hatte sie fest in den Plastikrücken der Puppe eingebacken. Außerdem besaß Betsy noch ein Bein. Das linke.
    Do schluckte.
    In ihr war ein einziger Impuls: Fort! Bloß weg von hier!
    Sie blieb trotzdem stehen.
    Sie wollte das nicht sehen. Sie wollte auch nicht denken. Bis hinüber zur Schiebetür, die ins Studio führte, waren es nur zehn Meter. Aber Do hätte durch diesen qualmenden, stinkenden, nassen und noch glühenden Schutt waten müssen, der alles enthielt, was einmal das Glück ihrer Tochter gewesen sein mochte.
    Do drehte sich um und stieg mit zitternden Beinen wieder die schmale Treppe hinab …
    Elf Tage zuvor, es war drei Tage nach Silvester

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