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Der Herr des Traumreichs

Der Herr des Traumreichs

Titel: Der Herr des Traumreichs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Douglass
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Atem. »Das heißt, daß derjenige, der das Gedicht niederschrieb, das letzte Wort zwar kannte, es aber nicht verraten wollte – oder nicht verraten durfte. Vielleicht ist es ein Teil der Prüfung.«
    Garth dachte angestrengt nach. Er landete immer wieder bei diesem Traum. Maximilian hatte etwas von einem Traum gemurmelt. Der Straßenhändler hatte von Träumen gesprochen. Gedichte, Geschichtsbücher und, mit rechtschaffener Empörung, auch Bestiarien erwähnten Träume.
    Aber wo suchte man einen Traum? Und was war das für ein Schattenkreis, aus dem der Manteceros befreit werden mußte?
    In den folgenden Tagen verbrachte Garth fast jede freie Stunde in der großen Bibliothek von Narbon, und wenn er nicht dort sein konnte, suchte Harrald für ihn weiter. Aber sie fanden nicht sehr viel mehr, als sie schon am ersten Tag entdeckt hatten. Undeutlich, kaum greifbare Hinweise auf Träume und auf Wesen, deren Existenz durch nichts bestätigt werden konnte.
    Doch schon ein einzelnes rätselhaftes Wort, eine Wendung genügten, und Garth schöpfte neuen Mut. Wenigstens handelte er, wenn auch offenbar nicht mit großem Erfolg. Und vielleicht waren er und Harrald nur einen Nachmittag oder eine Regalgasse von dem Buch entfernt, das ihm verraten konnte, was er wissen mußte – wo der Manteceros zu suchen war.
    Diese Hoffnung hielt ihn aufrecht, und die Bibliothek war so riesig, daß er auch weiterhin überzeugt war, seine oder Harralds Suche müsse früher oder später Erfolg haben.
    Harrald fragte nie, warum Garth sich so sehr darauf versteifte, möglichst alles über den Manteceros herauszufinden, und er fragte auch nie, was der Junge andauernd unter seinem Hemd betastete.
    Mit der Zeit verlor Garth seine Blässe und wurde ruhiger.
    Joseph schickte ihn so oft wie möglich ins Freie, und unter der heißen Sonne des Südens bräunte seine Haut. Er schoß noch eine Handbreite in die Höhe, aber dank Nonas guter Küche begann sich seine hagere, schlaksige Gestalt etwas zu runden.
    Eines Tages ging Joseph mit seinem Sohn in einen Barbierladen und sah zu, wie seine Kinderlocken zu Boden fielen. Als sie herauskamen, wirkte Garth fast wie ein Mann, und seine Bewegungen waren von einer gelassenen Sicherheit, die Joseph mit Stolz erfüllte. Wenn Garth in diesen Tagen an der Seite seines Vaters in den Behandlungsräumen stand, war er ganz bei der Sache und bemühte sich, so viel wie möglich von ihm zu lernen. Sein Vater staunte über seine Geschicklichkeit, seine Geduld, seinen Humor und sein schier unerschöpfliches Verständnis für die Menschen, die sich ihm anvertrauten.
    Bald baten immer mehr Patienten darum, daß Garth und nicht Joseph ihnen die Hände auflege, und Joseph störte das nicht, es mehrte nur seinen väterlichen Stolz.
    Als die Tage länger und die Schatten kürzer wurden, atmeten Joseph und Nona auf. Was immer ihren Sohn bedrückt hatte, mochten es die Schrecken der Adern sein oder etwas anderes, das er ihnen bisher noch verheimlichte, es trat offenbar mit jedem neuen Sommertag mehr in den Hintergrund.
    Doch Garth wurde auch weiterhin von schlimmen Träumen gequält. So manche Nacht lag er wach, starrte die Risse in der Decke an und rätselte, ob sie sich ausgebreitet hatten oder unverändert waren.
    Und Sträfling Nummer achthundertneunundfünfzig schwang auch weiterhin die Hacke in der teerschwarzen Finsternis der Glomm-Minen, und jedesmal, wenn er den Kopf nach rechts drehte, um ungestört denken zu können, war die Erinnerung an den Jungen ein wenig blasser geworden.
    Schließlich fielen die letzten Reste des Verbands an seinem rechten Arm auf den Boden des Stollens und wurden unter den ständig wachsenden Glomm-Massen begraben, und die Brandwunde auf seinem Oberarm verschwand unter einer dicken, klebrigen Schicht Glommstaub.

    In den Träumen
    Manchmal findet man Träume an Orten, wo man sie am wenigsten erwartet. So erging es auch Garth.
    Gegen Ende des Sommers, als die schlimmste Hitze gebrochen war, beugte sich Joseph eines Morgens beim Frühstück über seinen Sohn und bat ihn, einen Auftrag für ihn zu erledigen.
    »Es handelt sich um eine der Familien in den Sümpfen, Garth. Ich würde sie ja selbst aufsuchen, aber ich muß zu Miriam.« Der Zustand der Nachbarin hatte sich inzwischen so verschlechtert, daß Joseph fast täglich einen Hausbesuch bei ihr machte. »Außerdem mußt du früher oder später ohnehin einmal dort hinaus.«
    »Eine Familie aus den Sümpfen?« Garth lächelte Nona zu und ließ sich

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