Der Herr des Traumreichs
Brötchen nicht gegessen, das seine Mutter ihm aufgedrängt hatte.
Hinter der Stelle, wo der Fisch aufgetaucht war, bewegte sich etwas in den Zweigen. Er schaute kurz hinüber. Aber was es auch gewesen war, es war verschwunden oder regte sich nicht mehr. Garth richtete den Blick wieder auf den schmalen Pfad.
Er hatte das ziemlich unangenehme Gefühl, die Bäume und der Schlamm beobachteten ihn mit tausend Augen.
Endlich ragte Venetias Hütte zwischen den Bäumen hervor.
Sie stand auf einer kleinen Insel mitten im Schlamm. Es war eine elende Behausung, ein Lattengerüst, auf das alle möglichen Holzabfälle genagelt waren. Wer immer sie aufgestellt hatte, war kein Meister seines Fachs gewesen; überall klafften Ritzen, und der Schornstein an der Rückwand neigte sich bedenklich weit nach außen. Die einzige Tür stand halb offen, und die zwei kleinen dunklen Fenster waren mit ungebleichtem Sackleinen verhängt.
Garth hielt sein Pferd an und glitt aus dem Sattel. »Hallo?«
rief er. »Ist jemand zu Hause?«
Bis auf das beharrliche Summen der Insekten blieb alles still.
»Hallo?«
Garth band das Pferd an einem Eckpfahl der Hütte fest.
Hoffentlich scheute der Wallach nicht, sonst riß er womöglich das ganze Gebäude nieder. »Hallo? Ich bin Garth Baxtor, Joseph Baxtors Sohn. Ich bringe die Kräuter.«
Hinter der Tür bewegte sich etwas im Dunkeln, und gleich darauf trat eine Frau heraus.
Garth war damit beschäftigt, seinem Pferd die Satteltaschen abzunehmen. Nun hielt er erstaunt inne.
Die Schönheit dieser Frau war ohnegleichen – nicht einmal die fremdländischen Tänzerinnen, die mit den Schaustellertruppen durch Escators größere Städte zogen, konnten sich mit ihr messen.
Sie war etwa so alt wie seine Mutter und hatte ebenfalls schwarzes Haar, aber damit war die Ähnlichkeit auch schon erschöpft. Diese Frau war so schlank wie ein junges Mädchen, und ihre helle Haut wirkte straff und faltenlos. Die Augen waren von einem so hellen Grau, wie Garth es noch bei keinem Menschen gesehen hatte, und wurden von dichten schwarzen Wimpern überschattet. Das Ebenmaß ihrer Züge hätte auch der beste Bildhauer nicht übertreffen können. Ihre Bewegungen waren ruhig und voller Anmut.
Sie ging auf Garth zu, sah ihn fest an und streckte ihm die langfingrige Hand so entgegen, daß die Handfläche nach oben zeigte. »Das ist also Baxtors Sohn. Er erwähnte vor einigen Jahren, er hätte einen Jungen, der in seine Fußstapfen treten wolle.«
»Ich… äh, mein Name ist Garth.«
Sie lächelte, und Garth lächelte zaghaft zurück. Jetzt erschien sie ihm noch viel schöner als zuvor.
»Ich heiße Venetia.«
»Ja«, stammelte Garth.
Ihr Lächeln vertiefte sich und bekam etwas Raubgieriges.
Kein Wunder, daß Vater nicht gern hier herauskommt, dachte Garth.
»Willst du nicht eintreten?« Langsam ließ sie die Hand sinken.
Garth nickte und zerrte weiter an den Satteltaschen, bis sie sich endlich vom Pferderücken lösten.
Sie sah ihm kurz zu, dann machte sie so geschmeidig wie eine Schlange kehrt und verschwand im Haus.
Garth blieb zögernd in der Tür stehen. Von außen war die Hütte nicht groß, aber der halbdunkle Innenraum erschien ihm erstaunlich geräumig.
»Nun komm schon!« ertönte Venetias Stimme leicht ungehalten.
Garth warf sich die Satteltaschen über den Arm, holte tief Luft und trat ein.
Er blinzelte, bis sich seine Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten. Zunächst glaubte er sich in einer großen, von Nebel erfüllten Höhle, doch dann klärte sich sein Blick, und er sah, daß die Hütte innen ebenso armselig und trostlos war wie von außen. Lag dieser Frau denn gar nichts daran, ein sauberes, gemütliches Heim zu haben? Außer einem wackligen Bett auf einer Seite waren ein Tisch mit unzähligen Schnitten und Kratzern und zwei alte Stühle vor einer staubigen Feuerstelle das einzige Mobiliar. Wie konnte man nur so hausen?
»Du hast mir Kräuter gebracht?« fragte die Frau leise. Garth fuhr erschrocken zusammen. Sie stand unversehens neben ihm.
Er schämte sich, seine Geringschätzung so deutlich gezeigt zu haben.
»Ja. Vater wußte nicht genau, was Ihr braucht, und deshalb…« Er verstummte. Einen Herzschlag lang hatte er geglaubt, die Rückwand wäre einfach verschwunden, hätte sich in nichts aufgelöst, doch das war gleich vorüber. Er trat an den Tisch und stellte seine Satteltaschen ab. »… hat er mir eine Reihe von verschiedenen Pulvern mitgegeben.«
Venetia lächelte,
Weitere Kostenlose Bücher