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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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Hunderttausender junger Iraner geopfert, weil er hoffte, den von Saddam Hussein begonnenen Krieg in die Länge zu ziehen und ihn noch in einen Sieg für seine eigene reaktionäre Theologie umzumünzen. Kurz vor dem Mordaufruf hatte er sich der Realität stellen und der UN-Waffenstillstandsresolution beugen müssen, die er auf keinen Fall hatte unterzeichnen wollen – er hatte geschworen, eher werde er Gift trinken. Anders ausgedrückt: Er musste ablenken. In Südafrika hatten reaktionäre Muslime, Mitglieder im Marionettenparlament des Apartheid-Regimes, für den Fall der Teilnahme Mr. Rushdies an der Buchmesse in ihrem Land seine Ermordung angekündigt. In Pakistan zettelten Fundamentalisten blutige Straßenschlachten an. Khomeini musste beweisen, dass er ihnen in nichts nachstand.
    Nun werden dem Propheten Mohammed Aussagen zugeschrieben, die nur schwer mit der muslimischen oder jeder anderen Morallehre vereinbar sind. Korangelehrte versuchten die Quadratur des Kreises, indem sie erklärten, dass der Prophet in diesen Versen statt Allahs Diktat versehentlich das des Satans aufgenommen habe. Diese List, die auch noch den spitzfindigsten christlichen Apologeten des Mittelalters zur Ehre gereicht hätte, bietet dem Romanautor eine hervorragende Gelegenheit, dem Verhältnis zwischen heiliger Schrift und Literatur auf den Grund zu gehen. Doch wer alles wörtlich nimmt, versteht keine Ironie und betrachtet sie grundsätzlich als gefährlich. Rushdie, muslimisch erzogen und korankundig, galt nun als Abtrünniger. Und auf »Apostasie« steht nach der Überlieferung die Todesstrafe. Da ein Muslim kein Recht zum Übertritt hat, sehen alle Gottesstaaten für jeden, der es dennoch wagt, seit jeher strenge Strafen vor.
    Von den iranischen Botschaften unterstützt, unternahmen Todesschwadronen mehrere Attentatsversuche auf Rushdie. Auf seinen italienischen und seinen japanischen Übersetzer wurden Mordanschläge verübt, einer offenbar aus der absurden Annahme heraus, der Übersetzer wisse, wo sich der Autor aufhielt; der japanische Übersetzer wurde brutal erstochen. Rushdies norwegischem Verleger wurde mit einer Schnellfeuerwaffe in den Rücken geschossen; man ließ ihn im Schnee liegen, weil man ihn für tot hielt, doch er überlebte erstaunlicherweise. Eigentlich Grund genug zu der Annahme, dass diese menschenverachtenden, staatlich finanzierten Mordanschläge auf friedvolle Individuen, die sich ganz der Literatur verschrieben hatten, allseits verurteilt worden wären. Weit gefehlt. In sorgfältig formulierten Stellungnahmen brachten der Vatikan, der Erzbischof von Canterbury und der israelische Oberrabbiner ihr Mitgefühl zum Ausdruck – mit dem Ayatollah. Der Kardinal und Erzbischof von New York sowie viele andere weniger hochrangige religiöse Vertreter taten es ihnen gleich. Zwar lehnten sie wohl in knappen Worten die Gewaltanwendung ab, doch alle benannten als Hauptproblem, das sich aus der Veröffentlichung der Satanischen Verse ergebe, nicht etwa den Aufruf zum Mord, sondern die Blasphemie. Auch Persönlichkeiten ohne höhere Weihen, so der Schriftsteller und Marxist John Berger, der konservative Historiker Hugh Trevor-Roper und der Nestor des Spionageromans John Le Carré ließen wissen, Rushdie habe sich seine Schwierigkeiten durch die Verunglimpfung einer großen monotheistischen Religion selbst zuzuschreiben. Sie fanden es offenbar nicht absurd, dass die britische Polizei einen in Indien geborenen Ex-Muslim vor einer konzertierten Mordkampagne im Namen Gottes beschützen musste.
    So behütet mein Leben sonst auch ist, so konnte ich doch einen kurzen Blick auf diese surreale Situation erhaschen, als Mr. Rushdie an Thanksgiving 1993 übers Wochenende nach Washington kam, um sich mit Präsident Clinton zu treffen, und ein oder zwei Nächte in meiner Wohnung verbrachte. Damit verbunden waren umfassende und beängstigende Sicherheitsmaßnahmen, und nach seinem Besuch bat man mich ins Außenministerium, wo ich von einem höheren Beamten darüber informiert wurde, man habe »munkeln« hören, dass ein Racheakt gegen meine Familie und mich geplant sei. Er riet mir, Wohnsitz und Telefonnummer zu ändern, was mir zur Verhinderung eines Vergeltungsaktes unzureichend erschien. Allerdings bestätigte mir die Episode, was ich bereits wusste. Ich kann nicht einfach sagen: Gut, verfolgt ihr euren schiitischen Traum vom verborgenen Imam, ich widme mich derweil dem Studium Thomas Paines und George Orwells, und die Welt ist groß

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