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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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moderne Welt säkularisiert genug, dass sie heute ihre Erlebnisse und das, woran sie zu glauben hatten, durch den Kakao ziehen können. Doch solche Bücher werden zwangsläufig meist von Menschen verfasst, die diese Erfahrung dank ihrer inneren Stärke überlebt haben. Wenn Millionen von Kindern lernen, dass Masturbation blind macht, unreine Gedanken ins ewige Fegefeuer führen, dass auch Anhänger anderer Konfessionen einschließlich Mitglieder der eigenen Familie auf ewig dort werden schmoren müssen oder dass beim Küssen Geschlechtskrankheiten übertragen werden, dann ist der Schaden gar nicht zu ermessen. Das Gleiche gilt für das Leid, das Religionsgelehrte anrichten, wenn sie ihren Schülerinnen und Schülern solche Lügen unter Prügel, Vergewaltigung und öffentlicher Demütigung einhämmern. Einige der Menschen, die »in Gräbern ruhen, die kein Mensch besucht«, mögen ihren Beitrag zum Guten in der Welt geleistet haben, doch wer Hass und Furcht und Schuld gepredigt und unzählige Kinderleben ruiniert hat, sollte dankbar sein, dass die Hölle, von der er schwafelt, nur eine seiner eigenen niederträchtigen Lügen ist und er nicht dort verrotten muss.

    Sie ist gewalttätig, irrational und intolerant, steht im Bund mit Rassismus, Stammesdünkel und Bigotterie, lehnt in ihrer Ignoranz die freie Forschung ab, verachtet Frauen und züchtigt Kinder. Die organisierte Religion hätte allen Grund für ein schlechtes Gewissen. Ein weiterer Punkt sei dieser Liste noch angefügt: Die Religion steht zwangsläufig in Erwartung des Weltuntergangs. »Erwartung« meine ich hier nicht im rein eschatologischen Sinne eines Vorausblickens auf das Ende. Nein, ich meine, sie wünscht ihn sich offen oder insgeheim herbei. Vielleicht aus dem Bewusstsein heraus, dass ihre unausgegorenen Behauptungen nicht ganz überzeugend sind, vielleicht auch aus Unbehagen über ihre gierige Anhäufung weltlicher Macht und weltlichen Reichtums kündigt sie immer wieder die Apokalypse und den Jüngsten Tag an. Seit die ersten Medizinmänner und Schamanen eine Sonnenfinsternis vorhersagen konnten und ihr astronomisches Halbwissen dazu missbrauchten, die Unwissenden in Angst und Schrecken zu versetzen, ist das ein wiederkehrendes Motiv. Es reicht von den Briefen des Paulus, der ganz offenkundig dachte und hoffte, die Zeit der Menschheit neige sich dem Ende zu, über die wirren Fantasien der Offenbarung, die Johannes so unvergesslich auf der griechischen Insel Patmos niederschrieb, bis hin zu der erfolgreichen Schundromanreihe Left Behind , die, angeblich von Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins verfasst, offenbar jedoch nach der bewährten Methode produziert wurde, zwei Orang-Utans auf einen PC loszulassen.
    »Und über ihnen ein großer Schwarm gieriger Vögel, die sich an Mensch und Tier gütlich taten [...] Ihre Eingeweide ergossen sich auf den Wüstenboden, und alle in ihrer Nähe, die die Flucht ergreifen wollten, wurden ebenfalls getötet. Ihr Blut sammelte sich in Lachen unter dem strahlenden Licht der Herrlichkeit Christi.«
    Jesus wird nach der Schlacht gefragt:
    »Warum aber ist dein Gewand so rot, ist dein Kleid wie das eines Mannes, der die Kelter tritt?«
    »Ich allein trat die Kelter, von den Völkern war niemand dabei. Da zertrat ich sie voll Zorn, zerstampfte sie in meinem Grimm. Ihr Blut spritzte auf mein Gewand und befleckte meine Kleider.« [FUSSNOTE13]

    Es ist die schiere Lust am Wahnsinn, durchsetzt mit Scheinzitaten aus der Bibel. Etwas reflektierter, aber kaum weniger deprimierend, begegnet uns das Motiv in Julia Ward Howes Gedicht »Battie Hymn of the Republic«, in dem auch die Kelter wieder auftaucht, und in Robert Oppenheimers Reaktion auf die erste Atombombenexplosion bei Alamogordo in New Mexico, als er aus dem Hinduepos Bhagavadghita zitiert haben soll: »Jetzt bin ich der Tod, Zerstörer von Welten.« Eine der vielen Parallelen zwischen dem religiösen Glauben und den finsteren, verdorbenen und egoistischen Kindheitstagen unserer Spezies ist der unterdrückte Wunsch, zuzusehen, wie alles zerschlagen, zerstört und zunichtegemacht wird. Dieses trotzige Bedürfnis hängt mit zwei Spielarten der Schadenfreude zusammen: Erstens wird der eigene Tod durch die Vernichtung aller anderen Menschen aufgehoben, vielleicht auch vergolten oder kompensiert. Zweitens kann man immer eigensüchtig darauf hoffen, dass man selbst verschont bleibt und auf dem Schoß des Massenvernichters ein sicheres Plätzchen findet, von dem man das Leid

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