Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
als promisker Homosexueller betätigen. Soll sich die Gemeinde, die an Teufelsaustreibungen glaubt, doch jede Woche einen erwachsenen Sünder herauspicken und auspeitschen, bis er blutet. Soll doch der Kreationismus-Anhänger seine Kollegen in der Mittagspause belehren. Aber dass schutzlose Kinder zu diesen Zwecken missbraucht werden, kann auch der überzeugteste Säkularist getrost als Sünde bezeichnen.
Ich stelle mich nicht als moralisches Vorbild hin und würde schnell Schiffbruch erleiden, wenn ich es versuchte. Doch wenn man mich verdächtigte, ein Kind vergewaltigt, ein Kind gepeinigt, es mit einer Geschlechtskrankheit infiziert oder es in die sexuelle oder anders geartete Sklaverei verkauft zu haben, würde ich wohl über Suizid nachdenken, egal ob ich schuldig wäre oder nicht. Hätte ich aber eine solche Tat auch wirklich begangen, würde ich den Tod in jeder Form begrüßen. Diese Abscheu ist bei einem gesunden Menschen angelegt und braucht ihm nicht erst beigebracht zu werden. Da die Religion ausgerechnet dort in unerreichtem Maße straffällig geworden ist, wo moralische und ethische Autorität als universell und absolut bezeichnet werden kann, dürfen wir hier vorläufig mindestens drei Schlüsse ziehen. Erstens: Die Religion und die Kirchen wurden vom Menschen geschaffen, und da das so offensichtlich ist, kann man es auch nicht ignorieren. Zweitens: Ethik und Moral sind vom Glauben unabhängig und lassen sich nicht aus ihm ableiten. Drittens: Da die Religion für ihre Praktiken und Glaubensinhalte eine göttliche Ausnahmeregelung geltend machen möchte, ist sie nicht nur amoralisch, sondern unmoralisch. Der unwissende Psychopath oder Rohling, der seine Kinder misshandelt, muss bestraft werden, man kann sein Handeln aber vielleicht nachvollziehen. Wer sich aber für seine Grausamkeiten auf eine himmlische Rechtfertigung beruft, ist mit dem Bösen behaftet – und stellt eine erheblich größere Gefahr dar.
Das psychiatrische Krankenhaus von Jerusalem hat eine Station eigens für Menschen, die für sich und andere eine besondere Gefahr darstellen. Die Patienten dort leiden am sogenannten Jerusalemsyndrom. Polizisten und Sicherheitskräfte werden speziell darauf geschult, sie zu erkennen, denn der Wahn verbirgt sich häufig hinter einer Fassade seliger Gelassenheit. Die Leute kommen in die heilige Stadt, um ihre eigene Ankunft als Messias oder Erlöser zu verkünden oder den Weltuntergang vorherzusagen. Der Zusammenhang zwischen religiösem Glauben und geistiger Störung ist, vom toleranten und »multikulturellen« Standpunkt aus betrachtet, so offensichtlich wie tabu. Wenn jemand seine Kinder ermordet und hinterher erklärt, Gott habe es ihm befohlen, wird er zwar womöglich für unzurechnungsfähig erklärt und gilt als nicht schuldig, landet aber trotzdem in Sicherheitsverwahrung. Wenn einer in einer Höhle lebt und behauptet, Visionen und prophetische Träume zu haben, lassen wir ihn in Ruhe, bis sich herausstellt, dass er in seiner Glückseligkeit ein ganz und gar nicht imaginäres Selbstmordattentat plant. Wenn einer, der sich als von Gott erwählt betrachtet, beginnt, Getränkepulver und Waffen zu horten und sich an den Frauen und Töchtern seiner Anhänger gütlich zu tun, so werden wir das nicht nur mit einem Stirnrunzeln quittieren. Doch wenn solche Verhaltensweisen unter der schützenden Hand einer etablierten Religion gepredigt werden, sollen wir sie ernst nehmen. Alle drei monotheistischen Religionen preisen, um ein bekanntes Beispiel anzuführen, Abraham dafür, dass er bereit war, auf die Stimmen in seinem Kopf zu hören und mit seinem Sohn Isaak einen langen Spaziergang mit recht düsterem wahnhaften Ziel zu unternehmen. Und die Laune, die seiner Mörderhand am Ende Einhalt gebietet, wird dann als Gnade Gottes vermerkt.
Das Verhältnis zwischen körperlicher und geistiger Gesundheit hängt, wie man heute weiß, eng damit zusammen, ob die Sexualität intakt oder gestört ist. Kann es da Zufall sein, dass alle Religionen Gesetzeshoheit in Fragen der Sexualität beanspruchen? Zuallererst nötigen Gläubige seit jeher sich selbst, einander und Nichtgläubige, indem sie ein Monopol in diesem Bereich für sich reklamieren. Die wenigsten Religionen müssen sich mit der Durchsetzung des Inzesttabus abgeben (einige wenige Kulte erlauben oder befördern ihn sogar) denn wie Mord und Diebstahl lehnen die meisten Menschen den Inzest ohne weitere Erklärung ab. Doch wer auch nur einen flüchtigen
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