Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
der weniger Glücklichen beobachten kann. Tertullian, einer der vielen Kirchenväter, die sich vergeblich mit einer überzeugenden Beschreibung des Paradieses abmühten, entschied sich, nicht dumm, für den kleinsten gemeinsamen Nenner, indem er als eine der größten Freuden im Leben nach dem Tod die unendliche Betrachtung der Qualen der Verdammten versprach. Damit gab er mehr Wahrheit preis, als er ahnte, deutete er doch auf das menschgemachte Wesen der Religion hin.
Wie immer sind die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sehr viel eindrucksvoller als die Tiraden der Gottesleute. Die Geschichte des Universums begann, wenn wir dem Wort »Zeit« überhaupt irgendwelche Bedeutung zumessen wollen, vor rund zwölf Milliarden Jahren. (Bei falscher Anwendung des Begriffes »Zeit« gelangt man zu infantilen Berechnungen wie denen des James Ussher, Erzbischof von Armagh, dem zufolge die Erde – nur »die Erde« wohlgemerkt, nicht das Universum – am Samstag, dem 22. Oktober 4004 v. Chr. um sechs Uhr abends entstand. Auf diese Datierung stützte sich William Jennings Bryan, ehemaliger US-Außenminister und zweimaliger Präsidentschaftskandidat der Demokraten, als Anklagevertreter im Prozess gegen einen Lehrer, der seinen Schülern die Evolutionslehre beigebracht hatte, noch im dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts vor Gericht.) In Wahrheit beträgt das Alter der Sonne und der sie umkreisenden Planeten – von denen das Schicksal einem Leben zugesteht, während die anderen zu einem lebensfeindlichen Dasein verdammt sind – wohl viereinhalb Milliarden Jahre, eine Zahl, die laufend diskutiert wird. Diesem sehr kleinen Planetensystem bleibt wahrscheinlich noch einmal mindestens diese Zeitspanne, um seine Feuerbahnen zu ziehen, denn unsere Sonne hat eine verbleibende Lebenserwartung von satten fünf Milliarden Jahren. Dann allerdings wird sie sich wie Millionen anderer Sonnen vor ihr explosionsartig in einen »roten Riesen« verwandeln, die Ozeane der Erde zum Kochen bringen und jegliche Lebensform auslöschen. Kein Prophet oder Visionär hat bislang auch nur ansatzweise ein Bild von der katastrophalen Kraft und Endgültigkeit dieses Moments zeichnen können. Immerhin müssen wir ihn aus hausgemachten Gründen nicht weiter fürchten: Nach derzeitigen Prognosen wird die Biosphäre bis dahin sehr wahrscheinlich von einer anderen, langsamer verlaufenden Art der globalen Erwärmung zerstört sein. Auch optimistischen Experten zufolge haben wir als Spezies auf Erden keine Äonen mehr vor uns.
Mit welcher Verachtung und welchem Misstrauen müssen wir daher jedem begegnen, der es einfach nicht abwarten kann, der sich selbst belügt und andere ängstigt – wie immer vor allem Kinder – mit seinen Schreckensvisionen von einer Apokalypse, auf die dann das strenge Gericht desjenigen folgt, der uns dieses unentrinnbare Schlamassel angeblich erst eingebrockt hat. Wir mögen heute über die Eiferer lachen, die einst mit Schaum vor dem Mund Hölle und Verdammnis predigten und junge Seelen mit der pornografischen Darstellung ewiger Qualen in Angst und Schrecken versetzten, doch das Phänomen hat uns in einer durchaus beunruhigenden heiligen Allianz zwischen Gläubigen und der Wissenschaft, diesmal in Form von Anleihen und geistigem Diebstahl, wieder eingeholt. Professor Pervez Hoodbhoy, angesehener Professor für Kernphysik an der Universität von Islamabad, beschreibt beispielsweise die erschreckende Mentalität in seinem Heimatland Pakistan, einem der ersten Staaten der Welt, der sich gänzlich aus der Religion definierte:
In einer öffentlichen Debatte im Vorfeld der pakistanischen Atomwaffenversuche sagte der ehemalige Oberbefehlshaber der pakistanischen Armee, General Mira Aslam Beg: »Wir können einen Erstschlag vornehmen und ein zweites und sogar ein drittes Mal zuschlagen.« Die Aussicht auf einen Atomkrieg ließ ihn kalt. »Sie können beim Überqueren der Straße sterben«, sagte er, »oder in einem Atomkrieg sterben. Irgendwann müssen Sie sowieso sterben.« [...] Indien und Pakistan sind überwiegend traditionelle Gesellschaften, deren fundamentale Glaubensstruktur fordert, dass sich der Mensch höheren Mächten unterwirft. Der fatalistische Hinduglaube, nach dem die Sterne unser Schicksal vorherbestimmen, oder der entsprechende muslimische Glaube an Kismet sind sicherlich teilweise für dieses Problem verantwortlich. [FUSSNOTE14]
Ich gebe dem mutigen Professor Hoodbhoy recht; er war es übrigens, der uns darauf
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