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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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aufmerksam machte, dass sich unter den Bürokraten des pakistanischen Atomprogramms mehrere getarnte Bin-Laden-Anhänger befanden, und er entlarvte auch die blindwütigen Fanatiker innerhalb dieses Systems, die sich die Macht der mythischen Dschinns oder Wüstenteufel für militärische Zwecke zu eigen machen wollten. In seiner Welt stehen sich überwiegend Muslime und Hindus gegenüber. Doch auch durch die »judäochristliche« Welt geistern Fantasien vom finalen Krieg und Endzeitvisionen, die mit pilzförmigen Wolken ausgeschmückt werden. Es ist tragisch und potenziell tödlich, dass ausgerechnet diejenigen, denen die Naturwissenschaften und die freie Forschung am tiefsten verhasst sind, die fortschrittlichsten Produkte dieser Forschung stehlen konnten, um sie in den Dienst ihrer kranken Träume zu stellen.
    In jedem von uns schlummert wahrscheinlich so etwas wie Todessehnsucht. Zum Jahreswechsel 1999/2000 redeten und schrieben zahlreiche gebildete Menschen unendlich viel Schwachsinn über mögliche Katastrophen und Tragödien. Es war eine Art primitiver Zahlenmystik, schlimmer noch: 2000 war ja nur eine Zahl im christlichen Kalender, und selbst die überzeugtesten Verfechter der biblischen Geschichte räumen heute ein, dass Jesus, so er denn geboren wurde, frühestens im Jahr 4 n. Chr. zur Welt kam. Der Anlass war somit nicht mehr als ein Lackmustest für Idioten, die auf den billigen Nervenkitzel des dräuenden Jüngsten Gerichts aus waren. Doch die Religion legitimiert solche Impulse, pocht auf die Oberaufsicht über das Ende des Lebens, so wie sie die Kinder zu Beginn ihres Lebens in Beschlag nimmt. Der Todeskult und die ständige Ausschau nach Vorboten des Endes erwachsen aus dem stillen Wunsch, selbst dabei zu sein und Furcht und Zweifel, die den Glauben allezeit bedrohen, ein Ende zu setzen. Wenn die Erde bebt, ein Tsunami die Küste verwüstet oder die Zwillingstürme brennen, ist die Befriedigung der Gläubigen sicht- und hörbar. Hämisch verkünden sie: »Da seht ihr mal, was geschieht, wenn ihr nicht auf uns hört!« Mit einem salbungsvollen Lächeln offerieren sie, ohne dass es ihnen zustünde, Erlösung. Werden sie infrage gestellt, antworten sie mit drohendem Unterton: »Ach, du lehnst unser Angebot ab, ins Paradies einzuziehen? Na, dann haben wir noch ein ganz anderes Schicksal für dich parat.« Diese Liebe! Diese Fürsorge!
    Der unverhohlene Wunsch nach Vernichtung lässt sich gut an den Endzeitsekten unserer Tage beobachten, die ihren Egoismus und Nihilismus unter Beweis stellen, indem sie voraussagen, wie viele Menschen bei der ultimativen Katastrophe »errettet« werden. Hier sind die extremen Protestanten mindestens so schlimm wie die hysterischsten Muslime. Im Jahr 1844 fand eines der größten religiösen »Revivals« der USA statt, das von einem wahnsinnigen Halbanalphabeten namens George Miller angeführt wurde. Mister Miller gelang es, die Berggipfel des Landes mit leichtgläubigen Narren zu bevölkern, die er davon überzeugt hatte, dass die Welt am 22. Oktober jenes Jahres untergehen würde, woraufhin sie all ihr Hab und Gut billig verkauften und sich auf die Berge zurückzogen – was sie sich davon nur versprachen? – oder auf die Dächer ihrer armseligen Hütten retteten. Als der Weltuntergang ausblieb, fasste Miller das in die entlarvenden Worte »Die Große Enttäuschung«. Auch Mister Hal Lindsey, Autor des Bestsellers The Late Great Planet Earth , dürstete es nach Vernichtung. Mister Lindsey, von führenden amerikanischen Konservativen hofiert und im Fernsehen respektvoll interviewt, datierte den Beginn der »Drangsal« – ein Zeitraum von sieben Jahren, in dem Zwist und Terror herrschen – auf das Jahr 1988. Darauf hätte 1995 Armageddon folgen müssen, das Ende der »Drangsal«. Mister Lindsey mag ein Scharlatan sein, doch er und seine Anhänger müssen wahrlich unter einem ständigen Gefühl der Antiklimax leiden.
    Dessen ungeachtet gibt es sie, die Antikörper gegen Fatalismus, Selbstmordgelüste und Masochismus, und sie sind nicht minder typisch für unsere Spezies. Dazu eine berühmte Anekdote aus dem puritanischen Massachusetts des ausgehenden 18. Jahrhunderts: In einer Parlamentssitzung war der Himmel am Mittag plötzlich bleigrau und wolkenverhangen. Die Bedrohlichkeit der Situation – die Dunkelheit mitten am Tag – überzeugte viele Abgeordnete, dass das Ereignis, das so auf ihren benebelten Seelen lastete, unmittelbar bevorstand. Sie baten um eine

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