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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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Dunkelheit, der Pest, der Sonnenfinsternis und allen möglichen anderen Naturphänomenen gehabt hätten, die heute leicht zu erklären sind. Und wenn die Menschen nicht unter Androhung qualvollster Konsequenzen exorbitante Abgaben und Steuern hätten entrichten müssen, mit denen die imposanten Kirchenbauten finanziert wurden.
    Es ist wahr, dass einige Naturwissenschaftler durchaus gläubig oder zumindest abergläubisch sind oder waren. Sir Isaac Newton etwa war ein Spiritualist und Alchemist lachhaftester Art. Fred Hoyle, Astronom aus Cambridge, begeisterte sich als ehemaliger Agnostiker für das »Intelligent Design« und prägte den Begriff »big bang« – dies übrigens in dem Versuch, mit der albernen Bezeichnung die heute anerkannte Theorie vom Beginn des Universums in Misskredit zu bringen; der Schuss ging allerdings nach hinten los, denn ähnlich wie bei den abschätzig gemeinten Bezeichnungen »Tory«, »Impressionismus« und »Suffragette« wurde der Terminus von den Verspotteten übernommen. Stephen Hawking ist nicht gläubig. Als er auf Einladung des mittlerweile verstorbenen Papstes Johannes Paul II. nach Rom fuhr, bat er darum, die Akten des Prozesses gegen Galilei einsehen zu dürfen. Trotzdem sagt er ganz ungeniert, dass eines Tages Physiker erforschen könnten, »was Gott denkt« – eine mittlerweile ähnlich harmlose Metapher wie die gebräuchliche Floskel »Weiß Gott«.
    Bevor Charles Darwin die Vorstellung von der Herkunft des Menschen revolutionierte und Albert Einstein Entsprechendes für die Anfänge des Universums leistete, nahmen viele Naturwissenschaftler und Philosophen eine Art Standardposition ein, indem sie sich zur einen oder anderen Version des »Deismus« bekannten: Die Ordnung und Vorhersagbarkeit des Universums, so sagten sie, legten die Vermutung nahe, dass es einen Gestalter, einen »Designer« gebe, der sich allerdings nicht in den Alltag der Menschen einmische. Dieser damals durchaus logische und vernünftige Kompromiss war besonders unter den Intellektuellen von Philadelphia und Virginia verbreitet, unter ihnen Benjamin Franklin und Thomas Jefferson, denen es gelang, aus einer Krisensituation heraus die Werte der »Aufklärung« in den Gründungsurkunden der USA zu verankern.
    Doch um die unvergesslichen Worte des Paulus zu zitieren: »Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindliche Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindlich war.« Es lässt sich nicht exakt ermitteln, wann genau die Gelehrten aufhörten, Münzen zu werfen, um zu entscheiden, ob es nun einen Schöpfer gibt oder einen langen, komplexen Entwicklungsprozess, um dann den Kompromiss des Deismus einzugehen. Doch in den letzten Jahrzehnten des 18. und den ersten des 19. Jahrhunderts wurde die Menschheit ein wenig erwachsener. Charles Darwin wurde 1809 am selben Tag wie Abraham Lincoln geboren, und es steht wohl außer Frage, wer von beiden der größere »Befreier« war. Wenn man, der naiven Vorgehensweise eines Erzbischof Ussher folgend, genau datieren wollte, an welchem Tag die Münze endgültig auf einer Seite zum Liegen kam, dann wäre es wohl der Moment, in dem Pierre-Simon de Laplace zu einem Gespräch mit Napoleon Bonaparte zusammentraf.
    Laplace (1749-1827) war ein genialer französischer Adliger, der Newtons Arbeit einen Schritt weiterentwickelte, indem er mithilfe der Differenzialrechnung zeigte, wie sich die Bewegung der Planeten als Rotation von Körpern im Vakuum beschreiben lässt. Als er sich später den Sternen und Nebeln zuwandte, formulierte er die Vorstellung vom Gravitationskollaps und der Gravitationsimplosion, die wir heute leichthin als Schwarzes Loch bezeichnen. Seine Erkenntnisse legte Laplace in der fünfbändigen Abhandlung über die Himmelsmechanik dar. Wie viele Menschen seiner Zeit war auch Laplace fasziniert vom sogenannten Orrery, einem beweglichen Modell des erstmalig von außen zu betrachtenden Sonnensystems. Solche Modelle, heute selbstverständlich, waren damals revolutionär. Kaiser Napoleon bat Laplace zu sich, um sich von ihm die Bücher oder (hier gehen die Berichte auseinander) ein Orrery geben zu lassen. Ich vermute, dass der Totengräber der Französischen Revolution eher das Spielzeug als die Wälzer im Blick hatte, denn er hatte es eilig, und es war ihm gelungen, sich seine Diktatur von der Kirche mit einer Krone absegnen zu lassen. In seiner kindlichen, fordernden und herrischen Art wollte er jedenfalls

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