Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
zunächst gefragt, wo denn die Geschenke blieben – und brachten daher bald billigen Krimskrams mit.
Im 20. Jahrhundert erfuhr der »Cargo-Kult« eine eindrucksvolle und rührende Renaissance. Als Einheiten der US-Streitkräfte im Pazifik eintrafen, um für den Krieg gegen Japan Luftstützpunkte zu errichten, fiel ihnen auf, dass sie zu Objekten sklavischer Nachahmung wurden. Die Einheimischen warfen ihre nur oberflächlich angenommenen christlichen Riten über Bord und verwendeten all ihre Kraft auf den Bau von Landebahnen, die voll beladene Flugzeuge anlocken sollten. Sie fertigten Funkantennen aus Bambus und entzündeten Feuer, um die Leuchtfeuer zu simulieren, die den amerikanischen Flugzeugen bei der Landung Orientierung boten. Das Traurigste an dem Film Mondo Cane ist, dass dieses Verhalten andauert. Auf der Insel Tanna wurde ein amerikanischer Soldat zum Erlöser ernannt. Sein Name John Frum war offenbar erfunden. Auch nachdem der letzte Soldat nach 1945 die Gegend per Flugzeug oder Schiff verlassen hatte, wurde die Rückkehr des Erlösers Frum angekündigt, und an einem nach ihm benannten Feiertag wird einmal jährlich eine Zeremonie abgehalten. Auf der Insel New Britain nahe Papua-Neuguinea gibt es einen Kult, der sich noch auffallender auf Analogien stützt. Er fußt auf zehn Geboten (»zehn Gesetze«), einer Dreieinigkeit mit einer Erscheinung im Himmel und einer auf Erden sowie einem System von Ritualen, das diese Heiligkeiten mit Opfergaben milde stimmen soll. Werden die Rituale mit der gebotenen Sorgfalt und Inbrunst durchgeführt, so bricht laut diesem Glauben ein Zeitalter an, in dem Mich und Honig fließen. Diese strahlende Zukunft trägt, so traurig es ist, den Namen »Zeitalter der Unternehmen« und wird sich dadurch auszeichnen, dass New Britain wie ein multinationaler Konzern florieren und reich werden wird.
Manch einer wird schon die Andeutung eines Vergleichs als Beleidigung empfinden, aber triefen nicht auch die heiligen Schriften der offiziellen monotheistischen Religionen geradezu vor der Gier nach dem Materiellen, beschreiben sie nicht begehrlich Salomons Reichtum, die großen Herden der Gläubigen oder die Belohnungen, die den guten Muslim im Paradies erwarten, von den Schauergeschichten über Plünderungen und Beutezüge einmal ganz zu schweigen? Jesus zeigt keinerlei persönliches Interesse am Reichtum, das ist wahr, doch er führt die Schätze und »Wohnungen« im Himmel als Anreiz dafür an, ihm zu folgen. Und haben nicht alle Religionen zu allen Zeiten massiv die Anhäufung materieller Güter in der diesseitigen Welt verfolgt?
Der Hunger nach Geld und weltlichem Komfort ist nur ein Subtext in der entsetzlichen Geschichte vom »Wunderkind« der evangelikalen Propaganda in den USA. Der junge Meister Gortner, von seinen Eltern auf den Namen Marjoe getauft – eine idiotische Kombination aus den Namen Mary und Joe –, wurde im Alter von vier Jahren eingekleidet wie der kleine Lord Fountleroy, auf die Kanzel gestellt und angewiesen zu behaupten, er predige auf göttlichen Befehl. Wenn er klagte oder weinte, hielt ihn seine Mutter unter den Wasserhahn oder drückte ihm ein Kissen aufs Gesicht, wobei sie, so seine eigene Aussage, peinlich darauf achtete, keine Spuren zu hinterlassen. Dressiert wie ein Seehund, zog er bald die Kameras an, und im Alter von sechs Jahren hielt er Hochzeiten für erwachsene Menschen ab. Mit wachsendem Bekanntheitsgrad strömten immer mehr Menschen herbei, um das Wunderkind zu sehen. Seiner Schätzung nach sammelte er drei Millionen Dollar an Spenden ein, von denen kein einziger in seine Ausbildung oder seine Zukunft investiert wurde. Im Alter von siebzehn Jahren rebellierte er gegen seine erbarmungslosen und zynischen Eltern, stieg aus und tauchte Anfang der Sechzigerjahre in die Gegenkultur Kaliforniens ab.
Im Märchenspiel nach dem unsterblichen Kinderbuch Peter Pan , das in Großbritannien an Weihnachten gern aufgeführt wird, steht in einer zentralen Szene die kleine Fee Glöckchen kurz vor dem Tode. Das Lichtlein, das auf der Bühne von ihr ausgeht, wird immer schwächer, und es gibt nur einen Ausweg aus dieser entsetzlichen Situation. Ein Schauspieler tritt vors Publikum und fragt die Kinder: »Glaubt ihr an sie?« Wenn sie nun vernehmlich mit einem Ja antworten, wird das Lichtlein wieder heller. Was gibt es auch dagegen einzuwenden? Wir wollen doch den Kindern ihren Glauben an die Magie nicht verderben – sie werden noch oft genug Enttäuschungen
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