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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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haben sich sicher nicht wenige Menschen gefragt: Was ist, wenn es ein Leben nach dem Tode gibt, aber keinen Gott? Wenn es einen Gott gibt, aber kein Leben nach dem Tode? Am deutlichsten hat dieses Problem meines Wissens Thomas Hobbes in seinem Meisterwerk Leviathan aus dem Jahr 1651 behandelt. Ich empfehle besonders Teil III, Kapitel 38, und Teil IV, Kapitel 44, weil Hobbes dort eine fantastische Kenntnis der Heiligen Schrift und eine atemberaubende Beherrschung der englischen Sprache an den Tag legt. Er erinnert uns daran, wie gefährlich das bloße Nachdenken über diese Fragen schon immer war. Allein seine forschen und ironischen einleitenden Worte sprechen für sich. Hobbes sinniert über die unsinnige Geschichte vom »Fall« Adams, des ersten Menschen, der als freies Geschöpf erschaffen und dann mit Verboten gegängelt wird, denen er unmöglich gehorchen kann. Nicht ohne ängstlich hinzuzufügen, er unterwerfe sich »wie in allen anderen Fällen, wo eine genaue Auslegung von der Heiligen Schrift abhängt, der Auslegung der Bibel«, weist Hobbes darauf hin, dass Adams Tod, so er für seine Sünden das Todesurteil erhielt, zumindest aufgeschoben wurde, da er vor seinem Hinscheiden noch eine große Nachkommenschaft zuwege brachte. [FUSSNOTE43]

    Nach der Einführung des subversiven Gedankens, es sei absurd und widersprüchlich, Adam die Früchte des einen Baums zu verbieten, auf dass er nicht stürbe, und die des anderen, auf dass er nicht ewig lebe, blieb Hobbes nichts anderes übrig, als alternative Schriften und sogar alternative Strafen und alternative Ewigkeiten zu ersinnen. Hobbes wollte darauf hinaus, dass sich die Menschen im Hier und Jetzt der Herrschaft von Menschen vielleicht nicht unterwerfen, wenn sie sich mehr vor der Strafe Gottes fürchten als vor einem schrecklichen Tod im Hier und Jetzt, hatte aber die Freiheit des Menschen eingestanden, sich eine Religion auszudenken, die ihm gefällt, nützt oder schmeichelt. Samuel Butler übernahm diese Idee später in seinem Roman Erewhon Revisited . Im ersten Buch Erewhon besucht der Protagonist Mr. Higgs ein fernes Land, dem er am Ende in einem Ballon entflieht. Als er zwei Jahrzehnte später zurückkehrt stellt er fest, dass er in seiner Abwesenheit zu einem Gott namens »Sonnenkind« gemacht wurde, dem am Tag seines Aufstiegs in den Himmel gehuldigt wird. Zwei Hohepriester sind eigens für die Himmelfahrtsfeiern abgestellt. Als Higgs droht, sie bloßzustellen und kundzutun, dass er auch nur sterblich ist, warnen sie ihn, an diesen Mythos seien alle moralische Gesetze ihres Landes gebunden. Wenn man erführe, dass Higgs gar nicht in den Himmel aufgestiegen sei, würden sie allesamt sündigen.
    Im Jahr 1962 erschien der hochgelobte Dokumentarfilm Mondo Cane , »Die Welt des Hundes«, in dem die Regisseure eine ganze Reihe menschlicher Grausamkeiten und Illusionen vorführten. Erstmalig war vor laufender Kamera auch die Entstehung einer neuen Religion zu sehen. Jahrhundertelang waren die Bewohner der Pazifikinseln von der wirtschaftlich weiter entwickelten Welt abgeschnitten gewesen. Als diese dann mit der unvermeidlichen Wucht dort eintraf, erkannten viele auf Anhieb, worum es ging. Sie sahen die großen Schiffe mit den sich blähenden Segeln, beladen mit Schätzen, Waffen und Gerätschaften ohnegleichen. Einige der weniger gebildeten Inselbewohner taten, was viele Menschen tun, wenn sie mit einem neuen Phänomen konfrontiert sind: Sie versuchten es in einen Diskurs zu übersetzen, den sie verstanden – durchaus vergleichbar mit den verängstigten Azteken in Mittelamerika, die beim Anblick berittener spanischer Soldaten zu dem Schluss kamen, dass ihre Feinde Zentauren seien. Die armen Insulaner vermuteten, die Ankömmlinge müssten ihre Vorfahren sein, um die sie so lange getrauert hatten und die nun endlich mit Geschenken aus dem Jenseits zurückkehrten. Diese Illusion kann das erste Zusammentreffen mit den Kolonialherren nicht lange überstanden haben, doch später wurde beobachtet, dass die pfiffigeren Inselbewohner eine bessere Idee hatten. Sie beobachteten, wie Docks und Anleger gebaut wurden, woraufhin Schiffe anlegten und Waren entladen wurden. Die Einheimischen ahmten nun die Kolonialherren nach, indem sie ihre eigenen Anleger errichteten und darauf warteten, dass auch hier Schiffe eintrafen. Dieses Unterfangen war erfolglos und machte den christlichen Missionaren überdies ihre Aufgabe nicht leichter, denn sie wurden nach ihrem Eintreffen

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