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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Das paßte nicht zu einem Mann wie ihn. Wikinger spießten kleine Kinder auf ihre Schwerter, weil ihnen ihr Geschrei lästig war.
    Der Wikinger legte das Ruder an, stand auf, reckte sich und kam nach hinten, wo sie mit dem Sonnenhut aus einer flachen Holzschale und einem darüber gespannten Lappen saß. Er trug nur einen Lendenschurz. Sein Brusthaar kringelte sich golden. Sie wandte den Blick. Er war groß und einschüchternd.
    Er setzte sich neben sie und streifte sich den Kittel über den Kopf. Sie roch seinen Schweiß und empfand seinen Geruch als männlich und angenehm. Er sagte etwas zum Alten Firren, der ins Wasser spuckte. Dann wandte er sich an sie und sah sie lange und prüfend an. Ihre vor Erschöpfung glanzlosen Augen lagen in tiefen Schatten. Schweigend tätschelte er seinen Schenkel.
    Sie schlief ein, ihr Gesicht auf seinem Schenkel gebettet, ihre Hand unter ihrer Wange. Merrik setzte sich so, daß er ihr Schatten spendete.
    Bei Sonnenuntergang zogen sie das Boot an einer Stelle an Land, wo schon viele andere Boote ans Ufer gebracht worden waren, wie an den Schleifspuren zu erkennen war. Hier begann die kürzeste Strecke über Land zum Fluß Dvina, die sie in etwa vier Tagen erreicht haben würden. Sollte es regnen, dauerte der Fußmarsch länger. Der Transport war eine mühsame Knochenarbeit, und außerdem drohten stets Gefahren von Stämmen wilder Ureinwohner, die zwischen den beiden mächtigen Flüssen auf der Lauer lagen und auf Handelsleute warteten, um sie auszuplündern.
    Merrik benutzte keine Rollbalken aus dem einfachen
    Grund, weil das Langboot nicht groß genug war, um zusätzlich zu den Handelswaren und der Besatzung noch Balken aufzunehmen, was die Reise noch beschwerlicher gestaltet hätte. Nein, sie wollten das Boot schultern. Die Männer waren jung und hatten viel Kraft.
    Auf seiner ersten Handelsfahrt nach Kiew hatte Merrik während des Fußmarsches gegen einen Stamm Ureinwohner gekämpft und jeden Gefangenen umgebracht. Frauen und Kinder ließ er am Leben, nahm sie auch nicht als Sklaven mit, obwohl er mit ihnen Profit gemacht hätte. Er ließ sie in ihrem Dorf zurück und stellte sicher, daß alle Frauen und Kinder seinen Namen kannten, bevor er und seine Männer weiterzogen. Allen zeigte er den aus Walnußholz geschnitzten Raben, der die Spitze des Schiffsbuges zierte. Kein anderes Langboot, schärfte er den Überlebenden wiederholte Male ein, trage die Figur eines Raben. Damit hoffte er, sich einen furchterregenden Ruf zu erwerben, und sich andere wilde Stämme vom Leib zu halten. Auf einer Handelsfahrt wollte er keinen Mann verlieren.
    Seither hatte er drei Reisen nach Kiew gemacht, und es hatte einen Überfall gegeben, bei dem er nur einen Mann verloren, aber zwanzig Feinde getötet hatte. Auch dieser Zwischenfall war eine Botschaft an die wilden Stämme.
    Alle Männer beteten zu Thor um gutes Wetter. Meist hatte er ihre Gebete erhört und ihnen Sonne und Hitze beschert. Merrik hörte, wie Roran den kleinen Eller fragte, warum er keinen Regen riechen könne. Er erinnerte sich an einen Transport, als Thor ihre Gebete nicht erhörte. Es hatte so stark geregnet, daß sie beinahe acht Tage brauchten, um das Langboot durch den Schlamm zu ziehen.
    »Damals wurde das Boot auch über Land geschleppt«, sagte Laren und blickte sich um. »Aber an einer anderen Stelle.«
    Er nahm diese Information schweigend zur Kenntnis. Sie sah ihn kurz an und wandte rasch den Blick.
    »Dann seid ihr über den Ladogasee und Novogorod gekommen.«
    Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht war es so, vielleicht habe ich es nur geträumt. Ich sehe nach Taby.«
    »Bleib in der Nähe. Die nächsten vier Tage sind gefährlich.«
    Wenn sie tatsächlich über den Fluß Neva zum Ladogasee und dann zum Ilmensee gebracht worden war, würde das bedeuten, daß ihr Boot durch die Ostsee gesegelt war. Viele Händler nahmen diesen Weg, und alle führten Sklaven aus aller Herren Länder mit sich. Die Strecke dauerte wesentlich länger, war aber weniger gefährlich. Merrik dachte an seinen Bruder Rorik, der einmal lachend gesagt hatte: »Du würdest über den Mond segeln, wenn man dir glaubhaft versichern könnte, daß diese Strecke die gefährlichste ist. Dein Hang zur Gefahr bringt dich noch mal in Scherereien.« Wie oft er seinem Bruder auch versicherte, daß er die Gefahr nicht suche, schon gar nicht mit einem Schiff voll wertvoller Pelze und Handelswaren, Rorik winkte nur ab. Sein Bruder kannte sein hitziges Temperament.

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