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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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gerissen zu werden. Wer drang nachts in ihre Kammer ein? Sein Kopf war jetzt noch näher, sie hörte sein Keuchen und zwang sich, die
    Augen zu öffnen. Im Zwielicht erkannte sie deutlich sein Gesicht und erstarrte vor Angst. Sie wollte schreien, doch ihre Kehle war ausgetrocknet. Seine rauhen Hände lagen nun auf ihr. Sie bäumte sich auf, versuchte sich ihm zu entwinden, zu fliehen, doch seine Finger umspannten ihre Arme mit eisernem Griff und gruben sich tief in ihr Fleisch. Er grinste, und sie wußte, das war kein Traum.
    Taby!
    Er hatte neben ihr gelegen. Irgendwann nachts war er von einem Alptraum geweckt in ihr Bett gekrochen, sie hatte ihn in den Armen gewiegt und ihm Lieder von den großen Taten seines Onkels und seines Vaters vorgesungen, bis er wieder eingeschlafen war.
    »Ich habe sie«, keuchte der Mann heiser.
    Sich gegen ihn zu wehren, würde ihr nur schaden. Sie zwang sich, reglos liegen zu bleiben. Zu ihrer unaussprechlichen Erleichterung lösten sich die Hände des Fremden. Er knurrte: »Das Mädchen ist vor Angst ohnmächtig geworden.«
    Ein zweiter Mann sagte: »Weil sie dein häßliches Gesicht gesehen hat. Gut, daß sie ohnmächtig ist. Sie soll wild sein wie eine Wölfin. Ich habe das Kind. Es ist nicht größer als ein Laib Brot. Binde ihr die Arme und Beine zusammen und komm! Es sind viele Wachen unterwegs, mehr als ich vermutete. Wir müssen rasch weg.«
    Sie zwang sich, leblos und schlaff liegenzubleiben. Sie zählte ihre Atemzüge und spürte, wie ihre Kehle sich zusammenschnürte. Endlich hatte der andere Mann mit Taby die Kammer verlassen. Mit einem Satz schnellte sie hoch, packte den schweren Kerzenhalter neben dem Bett und schlug ihn dem Eindringling über den Schädel. Der heulte auf und taumelte zurück. Sie warf sich auf ihn, schlug ihm die Fäuste in den Bauch, trommelte auf ihn ein, bis er in die Knie sackte. Blut quoll aus einer Schädelwunde. Doch dann tauchte der andere Mann wieder auf, starrte ungläubig auf die Szene und stürzte sich auf sie. Gegen zwei Männer hatte sie keine Chance. Sie wich zurück, warf den Kopf in den Nacken und schrie so laut sie konnte, schrie und schrie . . .
    Wieder wurde sie von groben Händen gepackt, Finger gruben sich in ihr Fleisch. Larens Hilfeschreie wurden zu Schmerzensschreien. Jemand schlug ihr ins Gesicht, doch sie hörte nicht auf zu schreien, bis sie in einen schwarzen Abgrund versank. Und während sie das Bewußtsein verlor, beherrschte sie nur ein einziger Gedanke: Wieso kommt uns niemand zu Hilfe ?
    »Wach auf!«
    Ihr Schrei erstarb zu einem Röcheln. Merrik ließ Schwert und Messer fallen, packte sie an den Schultern und rüttelte sie. »Wach auf!« schrie er ihr ins Gesicht.
    »Du darfst meiner Schwester nichts tun!«
    Taby war auf Merriks Rücken gesprungen, trommelte ihm mit den kleinen Fäusten auf die Schultern und riß ihn an den Haaren. Laren kam zu Bewußtsein, sah den Mann über sich und schrie wieder. Sie hob die Hände, um nach ihm zu schlagen. Aber nein ... Es war Merrik, und Taby saß ihm schreiend und schluchzend im Nacken, schlug auf ihn ein, und Tränen strömten ihm über die blassen Wangen.
    Sie hatte ihn mit ihren Schreien erschreckt, mit ihrem Alptraum aus einer längst vergangenen Nacht. Monatelang hatte sie nicht mehr von jener Nacht geträumt. Diesmal war er schlimmer als sonst, aber das war kein Grund wie am Spieß zu schreien. Sie müßte sich längst an das Grauen, dessen Erinnerung so frisch war, als sei es gestern gewesen, gewöhnt haben. Sie hatte Merrik geweckt und ihren kleinen Bruder erschreckt. Sie holte tief Luft und bemühte sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen: »Taby, mein Liebling, es ist alles gut. Nein, du darfst Merrik nicht hauen. Er wollte mich nur wecken. Ich habe einen Alptraum gehabt, aber jetzt ist er vorbei. Komm Taby, komm zu mir.«
    Merrik hatte sich nicht bewegt. Er wartete, bis sie das Kind in den Armen wiegte. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er rittlings auf ihr saß, und seine nackten Schenkel ihre Hüften einklemmten. Kein Wunder, daß Taby glaubte, er wolle seiner Schwester etwas antun.
    Er setzte sich neben sie und betrachtete sie im Zwielicht der Morgendämmerung. Sie wiegte Taby in den Armen und sang ihm ein Schlaflied. Sie spürte Merriks Blick und hob den Kopf.
    »Erzähl es mir«, forderte er.
    Sie senkte den Blick und wiegte Taby. Das Kind löste sich aus der Umarmung und kniete sich neben sie. Seine Finger berührten ihr Gesicht. »Waren es wieder die bösen

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