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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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sie hätte die Drecksarbeit tun müssen. Merrik unterbrach ihn: »Es waren nicht viele Felle, die wir als Geschenke nach Hause bringen. Und es war eine leichte Arbeit. Hör auf, dich zu beklagen, Deglin.«
    Deglin schnaubte verächtlich und sagte, sein Magen rebelliere gegen den Fraß, den die da ihnen vorgesetzt habe. Beleidigt verdrückte er sich in den Wald, um sich zu erleichtern und blieb eine Stunde verschwunden. Die Männer murrten gegen Deglins ungerechte Anschuldigungen. Ein paar von ihnen begannen Steine zu werfen, um ihre Treffsicherheit zu erproben, hörten aber bald gelangweilt damit auf.
    Laren, die zu all dem geschwiegen hatte, meldete sich schließlich zu Wort: »Ich habe über Grunlige nachgedacht. Vielleicht kann ich die Geschichte an Deglins Stelle erzählen.«
    Die Männer gafften sie an, als habe sie den Verstand verloren. Laren hielt ihren Blicken mit gelassener Miene stand.
    Taby, der zwischen Merriks Beinen saß, rief begeistert: »Ja, erzähl uns eine Geschichte, Laren, deine Geschichten sind so schön.«
    »Na ja«, meinte Oleg ohne rechte Überzeugung. »Wir haben nichts anderes zu tun. Fang schon an.«
    »Ich bin so satt, daß es mir gleichgültig ist, was an meine Ohren dringt«, brummte der Alte Firren. »Fang an!«
    Merrik schwieg. Laren wußte, daß auch er der Meinung war, eine Frau sei unfähig, sich Geschichten auszudenken, die einen Mann interessieren könnten, da allgemein bekannt war, daß Frauen dafür kein Talent besaßen. Nur Männer waren Skalden . . .
    Laren räusperte sich und beugte sich ein wenig vor, um die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer zu gewinnen. Diese Haltung hatte sie bei dem Skalden ihres Onkels tausendmal gesehen. Mit fester Stimme begann sie: »Als Grunlige sagte: >Ich habe kein Gefühl in meinen Händen< und seine Gefährten beim Anblick der zusammengeschrumpften Pfoten entsetzt und traurig zurückwichen, verließ ihn seine mächtige Kraft und sein sagenumwobener Mut. Es dauerte nicht lange, und auch sein Körper schrumpfte, da er stets den Kopf gesenkt hielt und die Schultern hängen ließ.
    Seine Freunde mieden ihn. Betrat er einen Raum, so verstummten die Gespräche. Mit seiner Kraft hatte er auch seinen Stolz verloren. Denn seiner Überzeugung nach war die Manneskraft der ausschließliche Quell seiner Größe und seines Wertes.
    Seine Feinde, böse und ehrlose Gesellen, schmiedeten hinter seinem Rücken Pläne. Sie waren keine Wikinger, keine tapferen Krieger, sondern sächsische Plünderer, die nur Verrat und Heimtücke im Sinn hatten. Sie planten, sich Grunliges Besitz anzueignen.
    In den folgenden Monaten raubten sie seine Kriegsschiffe, verschleppten seine Sklaven, plünderten sein Silber und Gold. Sie töteten seine Bauern und stahlen seine Rinder und Schafe. Einer von ihnen faßte sogar den Plan, Grunliges schöne Gemahlin Selina zu entführen.
    Die wenigen Gefolgsleute, die ihm noch die Treue hielten, flehten Grunlige an, sich zur Wehr zu setzen, doch er schwieg, zog den Kopf zwischen die Schultern, schüttete bis zum Umfallen Bier in sich hinein und ließ sich von seinen Dienern zu Bett bringen.
    An einem heißen Sommermorgen gelang es Parma, einem heimtückischen sächsischen Schurken aus Wessex, sich auf Grunliges Anwesen zu schleichen. Er war ein großer Mann mit finsterem Gesicht, dessen dichte, schwarze Augenbrauen in der Mitte zusammengewachsen waren.
    Er haßte Grunlige. Und er wußte, daß sein eigener Tod ihn weniger schmerzen würde als der Verlust seiner geliebten Gemahlin. Grunlige hatte Parmas Bruder getötet, nachdem dieser im Zustand völliger Trunkenheit Grunliges Lieblingspferd zu Tode geschunden hatte. Hierin lag der Grund für Parmas Haß.
    An diesem Morgen saß Selina an einem Bach und dachte über das traurige Schicksal ihres geliebten Gemahls nach. Parma schlich lautlos an sie heran, und als er direkt hinter ihr stand, raunte er: >Ich bin Parma und komme, um dich zu entführen, Selina. Und ich werde dich behandeln, wie ich Grunlige als Gefangenen behandeln würde. Du wirst vor mir auf die Knie fallen und mich um Gnade anwinseln. Dann peitsche ich dich aus, so wie Grunlige meinen Bruder ausgepeitscht hat.<
    Sie zeigte keinerlei Furcht, drehte sich um und sagte dem Unhold ins Gesicht: >Wenn du mich anrührst, Parma, wirst du es bereuen, bis du deinen letzten Atemzug getan hast.<
    Er lachte über die dreisten Worte eines schwachen Weibes. Sie war Grunliges Gemahlin, und deshalb wollte Parma sie haben. Er streckte die Arme nach ihr

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