Der Herr vom Rabengipfel
Laren ein eisiger Schauer über den Rücken lief, setzte er hinzu: »Erzähle uns, was aus Innar wurde, dem Mann, der seinen Vater nicht sonderlich achtete.«
»Nun, Herr«, begann Deglin ein wenig unsicher. »Er veränderte sich. Er wurde ein angesehener Mann, und seine Achtung für seinen Vater, dem er alle Gaben verdankte, die er nun für seinen Erfolg nutzte, wuchs. Innar war bei seinen Gefährten hoch geehrt und geachtet, denn es gab weit und breit keinen besseren Händler als ihn. Die hoffärtige Sklavin tötete er eigenhändig. Von seinen Reisen brachte er viel Silber nach Hause und wurde reicher, als sein Vater es sich je erträumt hatte. Er heiratete das Mädchen, das sein Vater für ihn ausgesucht hatte und zeugte viele kräftige Söhne mit ihr. Grunlige der Däne hatte in seinem Sohn einen würdigen Nachfolger, der seinem Namen alle Ehre machte.«
Es folgte eine lange, lastende Stille, die schließlich von Oleg gebrochen wurde, der sich drohend vor Deglin aufbaute und ihn voller Abscheu anfuhr: »Deine Geschichte taugt nichts, Deglin. Sie ist voller Gehäßigkeit und Lügen. Du kommst mir vor wie eine Mücke, die heimlich sticht und dann davonfliegt. Auch du verteilst kleine, giftige Stiche und verbirgst deine Feigheit hinter deinen Worten. Ich möchte lieber von dem Mädchen hören, wie die Geschichte mit Grunlige dem Dänen weitergeht.«
Deglins schöne Skaldenstimme überschlug sich gellend: »Das Mädchen wird nichts erzählen! Sie kann nichts. Bis jetzt konnte sie euch täuschen, aber sie hat kein Talent. Sie ist nur eine stinkende Sklavin. Seht ihr denn nicht, daß sie es ist, die Zwietracht zwischen uns sät? Sie hat einen Fluch über Merrik gesprochen, der ihn zum Schwächling macht!«
Oleg zog sein Messer aus dem Gürtel und trat näher an Deglin heran. Merrik hielt ihn zurück: »Halt, Oleg. Deglins Zunge war wieder einmal schneller als sein Verstand. Stimmts, Deglin?«
Deglin holte tief Luft, um seine Fassung wiederzufinden. »Ja, ich war unbesonnen, Herr, und habe mich hinreißen lassen. Ich erzähle euch eine andere Geschichte, die euch besser gefallen wird.«
Oleg schüttelte den Kopf, steckte das Messer wieder in den Gürtel, ließ sich auf dem Wolfspelz nieder, verschränkte die Beine und sagte: »Komm Laren, wie geht es weiter? Parma berührte Selinas Arm und es geschah etwas Seltsames. Erzähl weiter.«
Sie schwieg unschlüssig. Die Männer sahen sie erwartungsvoll an. Merriks verschlossener Miene konnte sie nichts entnehmen. Taby döste in seinen Armen. Die Männer nickten ihr eifrig zu, und einige forderten sie auf, endlich zu beginnen. Sie blickte wieder zu Merrik, der schließlich nickte. Lächelnd erhob sie sich, öffnete den Mund zum Sprechen, die Worte summten förmlich in ihrem Kopf.
Den erhobenen Arm sah sie, ohne ihm rechtzeitig ausweichen zu können. Deglin versetzte ihr einen Faustschlag mitten ins Gesicht. Sie taumelte und fiel ins Feuer.
Kapitel 7
Merrik setzte Taby unsanft zur Erde und sprang auf die Füße. Doch Cleve war schneller. Er kam angerannt und zog Laren aus dem Feuer. Deglins Fausthieb hatte ihr das Bewußtsein geraubt. An ihrem rechten Hosenbein fraßen sich die Flammen in den trockenen Wollstoff. Cleve wälzte sie auf den Bauch, bewarf das Bein mit Sand und Erde, die er mit den Fingern zusammenscharrte, und versuchte, die Flammen mit den flachen Händen zu ersticken. Merrik riß sich den Kittel vom Leib und schlug ihn auf ihr Bein. Er sah die verbrannte Wolle und die nackte Haut darunter. Benommen drehte sich Laren zur Seite. Er blickte ihr ins Gesicht.
»Bist du in Ordnung?«
Ihr Blick war leer, ihr Gesicht ohne Farbe, und ihre Finger krallten sich in die Erde. Dann berührte sie mit den Fingerspitzen ihre Wange und stöhnte leise auf. Sie schüttelte den Kopf, um die Benommenheit zu vertreiben. Das Blut rauschte wild durch ihre Adern, die Angst blockierte ihr Denken. Dann lächelte sie schief: »Ich war wohl nicht schnell genug.«
Merrik betrachtete sie verdutzt. »Ist dein Kiefer gebrochen?« Dabei betasteten seine Finger behutsam den Kieferknochen. »Nein, aber es wird eine Schwellung geben.«
Er befaßte sich wieder mit ihrem Bein. »Setz dich auf.« Die zornigen Stimmen der Männer im Hintergrund nahm er kaum wahr.
Er riß den Wollstoff auf und entblößte ihr Bein. Die Haut war vom Knöchel bis zum Knie tiefrot gefärbt. Sie mußte starke Schmerzen haben. Doch als er ihr forschend ins Gesicht blickte, sah er nur Leere. Der Schmerz hatte
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