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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Doch nur der zweite Sohn Wilhelm Langschwert erreichte das Mannesalter. Taby ist nach Wilhelm der zweite Prinz in der Erbfolge. Rollos älterer Bruder Hallad, mein Vater, war zweimal verheiratet und hat vier Kinder, drei Töchter und einen Sohn, nämlich Taby. Meine Mutter starb, als Taby ein Jahr alt war. Unsere Schwestern, Töchter aus der ersten Ehe meines Vaters, sind wesentlich älter. Sie sind mit hochrangigen Würdenträgern bei Hofe verheiratet und leben auf der Burg meines Onkels in Rouen. Jemand wollte uns aus dem Weg räumen. Eine meiner Schwestern oder vielleicht auch beide ... oder deren Ehemänner. Ich weiß es nicht. Wilhelm Langschwert hielt sich zum Zeitpunkt unserer Entführung am Hof des Königs in Paris auf. Außerdem habe ich Vertrauen zu Wilhelm. Er würde weder Taby noch mir etwas zuleide tun. Er weiß um Tabys Bedeutung in der Thronfolge. Auch er ist verheiratet, doch seine Frau hatte bei unserer Entführung noch kein Kind. Vielleicht hat sie unterdessen einen Sohn, und Taby ist nicht mehr so wichtig. Aber bevor wir das wissen, ist Taby für Rollo und für den Fortbestand der Normandie von großer Bedeutung.«
    Merrik schwieg lange.
    »Wenigstens haben sie euch nicht umgebracht«, brummte er.
    »Nein, deshalb glaube ich, daß es eine unserer Schwestern war oder beide oder einer ihrer Ehemänner. Sie scheuten sich, ihr Gewissen mit unserem Mord zu belasten, deshalb wurden Taby und ich in die Sklaverei verkauft. Sie wähnen sich in Sicherheit, Merrik. Wenn Wilhelm Langschwert unterdessen gestorben sein sollte, ohne einen Sohn zu hinterlassen, wenn es also keinen direkten Thronfolger gibt, tritt einer meiner Schwager Rollos Nachfolge an.«
    »Das hast du also gemeint, als du sagtest, du verstehst, was Rache bedeutet.«
    »Ja. Den Gedanken an Rache trage ich seit zwei Jahren im Herzen. Und auf der Zunge. Ich schmecke die Süße der Rache, und solange ich lebe, haben die Missetäter ihr Ziel nicht erreicht.«
    »Nein. Du hast die letzten beiden Jahre damit verbracht, Taby am Leben zu erhalten.« Er blickte zu dem Hof hinauf, der jetzt ihm gehörte. Es war ein stattliches Gehöft, von einem wehrhaften Palisadenzaun umgeben. Rauch stieg aus dem Dach des Langhauses. Außerhalb der Umzäunung lagen die erntereifen Getreidefelder und die Viehweiden. »Das Leben verläuft oft anders, als wir ahnen. Und ich denke, das ist gut so. Meine Eltern wurden von einer Seuche dahingerafft, mein Bruder wurde ermordet, der Mörder ist noch nicht gefaßt, und nun ist das Kind, das ich als Sohn adoptieren wollte, ein naher Verwandter des großen Rollo.« Er schwieg und studierte nachdenklich seine braungebrannten Füße. »Das ist eigentlich mehr, als ich verkraften kann.«
    »Und ich bin seine Nichte. Es ist alles wahr, Merrik.«
    »Ja, ich zweifle nicht daran. Ich zweifle höchstens an mir selbst. Ich wollte auf dem Sklavenmarkt in Kiew eine kräftige Sklavin für meine Mutter kaufen. Stattdessen fand ich dich und Taby. Ich sagte dir schon, du hast mein Leben in Unordnung gebracht. Und nun erfahre ich, daß du Rollos Nichte bist. Deine edle Herkunft wird meine Leute davon überzeugen, daß du es nicht gewesen sein kannst, die Erik umgebracht hat. Jemand aus adeligem Geschlecht macht sich die Hände nicht mit dem Blut eines Mannes von Eriks Stand schmutzig.«
    »Bringst du mich in die Normandie zurück? Mich und Taby?«
    Er blickte schweigend auf sie hinunter, studierte den Aufruhr, der in ihr brodelte, ohne seine eigenen Gefühlsaufwallungen erkennen zu geben. Schließlich sagte er ohne Ausdruck in der Stimme und ohne sie anzusehen: »Wenn es dein Wunsch ist.«
    Ihr Fuß klopfte gegen den Holzpfosten der Mole. »Aha, dann willst du mich also nicht heiraten.«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Was willst du, Merrik?«
    Er nahm ihre linke Hand, legte sie flach auf seine Brust und deckte seine Hand darüber. »Ich werde Taby erst zu deinem Onkel Rollo zurückbringen, wenn ich herausgefunden habe, wer euch entführt hat. In Rouen lauert immer noch Gefahr. Wenn ich dich und Taby jetzt zurückbringe, würde ich euch ans Messer liefern. Diesmal wird man euch nicht verschonen. Und das Risiko darf und will ich nicht eingehen.«
    »Mag sein. Aber ich muß zurück. Ich werde die Lage auskundschaften. Onkel Rollo wird meine Schwestern bestrafen, wenn sie an der Entführung beteiligt waren. Und wenn ihre Ehemänner die Finger im Spiel hatten, werden sie mit dem Tode bestraft. Ich beschütze Taby, wie Onkel Rollo ihn beschützt

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