Der Herr vom Rabengipfel
mich, ich soll nüchtern bleiben, weil wir beide verantwortlich dafür sind, daß die Gäste sich nicht die Schädel einschlagen.«
»Ich paß schon auf dich auf«, meinte Sarla.
»Und ich auch«, fügte Cleve hinzu, der hinter Sarla auftauchte.
Einen Augenblick sah Laren die beiden Gesichter ineinander verschwimmen. Sie machte ein Auge zu, doch immer noch hatte sie den Eindruck, die beiden vereinigten sich zu einer Person. Mit schwerer Zunge fragte sie: »Wann heiratet ihr denn nun?«
Die beiden schauten einander erschrocken an. Laren trank noch einen Schluck Bier. »Cleve hat mir das Leben gerettet. Er ist ein guter Mann.«
»Ich weiß«, sagte Sarla. »Bitte Laren, sprich nicht darüber. Erik ist noch so nah, er geht mir noch immer im Kopf herum. Du hast ihn nicht getötet, ebensowenig wie Cleve oder ich. Aber sein Mörder ist unter uns. Ich habe Angst.«
Cleve nahm Sarlas Arm und drückte ihn zärtlich. »Sei ruhig, Sarla. Heute feiern wir Larens Hochzeit. Wir finden heraus, wer Erik getötet hat, und dann sind wir frei. Wenigstens hat nun niemand mehr Laren in Verdacht.«
Wer hatte Erik getötet? Laren nippte an ihrem Bier und blickte in die Runde der fröhlichen Zecher, die heftig aufeinander einredeten, miteinander scherzten, einander küßten und liebkosten. Ileria, die Weberin, war so betrunken, daß sie dumpf vor sich hin brütete. Caylis und Megot vergnügten sich mit zwei von Eriks Gefolgsleuten. Es waren junge, ansehnliche Männer, deren Gesichter vom Met gerötet waren.
Warmer Atem schlug an ihr Ohr. »Hab' ich dir nicht gesagt, du sollst nicht zu viel trinken?«
Sie schaute ihn an und war seinem Gesicht ganz nah. Sie grinste: »Ich glaube, ich habe schon zuviel erwischt.«
»Muß ich mit einer betrunkenen Frau das Lager teilen?«
»Ich höre lieber auf«, damit leerte sie den Krug.
Merrik lachte und wandte sich an die Hochzeitsgäste: »Ich brauche euren Rat, Leute. Meine Braut kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Was soll ich tun?«
Oleg schrie: »Sie soll uns eine Geschichte erzählen! Dabei wird sie wieder nüchtern.«
»Ja, eine Geschichte, eine Geschichte!«
»Nun Laren, fühlst du dich dazu in der Lage?«
»Eine Geschichte«, meinte sie sinnend. »Ja, eine Geschichte.« Damit stieg sie auf die Bank und dann auf den Tisch. »Hört mir zu«, rief sie. »Ich erzähl' euch eine Geschichte!«
Jubel und Gelächter kam auf.
»Sie fällt und bricht sich das Bein!«
»Hauptsache, sie beißt sich die Zunge nicht ab. Ich will eine Geschichte hören!«
Laren stampfte mit dem Fuß auf und verlor dabei fast das Gleichgewicht. Merrik hielt sie fest. »Fang an, ich halte dich«, sagte er.
Sie bemühte sich um Würde und begann kichernd: »Ich erzähle euch von Fromm und Cardle, zwei Edelmännern, die Schwestern königlichen Geblüts, Helga und Ferlain, heirateten. Fromm war stark und jähzornig wie ein Stier, Cardle hingegen war ein weltfremder Gelehrter. Helga fand schnell heraus, daß ihr Bräutigam Fromm trotz seines Jähzorns leicht zu lenken war. Und Ferlain stellte fest, daß ihr Gatte Cardle keine Kämpfernatur war. Die beiden Prinzessinnen tauschten ihre Erfahrungen aus, die sie in ihren Ehen gemacht hatten und faßten den Plan, sich ihre Ehemänner zunutze zu machen, um die Macht über das Königreich an sich zu reißen. Zunächst galt es, sich des rechtmäßigen Thronfolgers zu entledigen. Doch der junge Prinz hielt sich nicht im Königspalast auf. Aber es gab auch noch Ferlains und Helgas Halbbruder, den kleinen Ninian, der der zweite in der Thronfolge nach dem erstgeborenen Sohn des Königs war. So beschlossen sie, zunächst Ninian beiseite zu schaffen.
Doch das war nicht so einfach, denn der kleine Ninian war mit einem Zauberer befreundet.«
Laren unterbrach: »Der Skalde wünscht mehr Bier, lieber Gemahl. Sonst trocknet ihm die Kehle aus.«
Merrik reichte ihr den Krug.
»Wie geht es weiter?« rief Oleg. »Wer war Ninians Freund?«
Sie blickte erst Oleg und dann Bartha, die vollbusige Frau, die Larens safrangelbes Kleid gefärbt hatte, streng an. »Ninians Freund war ein Wikinger Krieger, der immer dann auftauchte, wenn das Kind in Gefahr war. Er war listig, wild und furchtlos wie ein Berserker. Er trug ein Bärenfell, aber er brüllte nicht und rollte auch nicht mit den Augen wie Berserker es tun. Einmal hatte Ninian seine Kinderfrau im Wald in der Nähe des Königspalastes verloren und wurde von einem Wolf angegriffen. Der Wikinger Krieger erschien wie Rauch aus
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