Der Herr vom Rabengipfel
von Hallad und Nichte von Rollo, dem Herzog der Normandie, vor unseren Göttern und den hier Anwesenden zu meiner Gemahlin. Ich bete zu Freya, sie möge uns ein langes Leben und viele Kinder schenken. Ich bitte Allvater Odin um Standhaftigkeit, daß wir uns gegenseitig ehren und die Treue halten. Ich werde dich mit meiner Kraft und meinem Schwert verteidigen. Alles, was mir gehört, gehört auch dir. Ich will dir zu allen Zeiten ein treusorgender Gefährte sein, bis daß der Tod uns scheidet.«
Laren hatte ihre Rede gut vorbereitet, hatte allerdings verschwiegen, daß sie Christin war. Rollo hatte bei Vertragsabschluß mit König Karl den christlichen Glauben angenommen. Und dieses Gelöbnis schloß seine gesamte Familie ein. Ihr war klar, daß Taby als Christ erzogen werden würde. Doch sie wollte eine Wikingerfrau sein.
Und sie hatte sich überlegt, welche Worte eine Wikingerfrau sagen würde. Sie war sehr aufgeregt, ihr Mund war trocken. Sie fürchtete, Merrik zu beschämen. Obwohl sie die Namen der meisten Wikingergötter kannte, wußte sie nicht genau, wer für die Vermählung zuständig war. Sie blickte zu ihrem Bräutigam auf. Er lächelte ihr aufmunternd zu und drückte ihre Hand. Sie brachte den
Mund nicht auf. Leise murmelte er: »Sag einfach, daß du mich in den Schweinestall verbannst, wenn ich eine andere Frau auch nur anschaue.«
Laren mußte lachen und tat es laut und ungeniert. Danach konnte sie frei sprechen: »Ich will dich ehren und achten, Merrik, Herr von Malverne. Ich schwöre, dich mit Wort und Tat zu verteidigen und in guten wie in schlechten Tagen zu dir zu stehen. Dies gelobe ich vor allen Anwesenden und vor unseren Göttern.«
»Das hast du gut gemacht«, lobte er und zog sie an sich. »Ich hatte schon Angst, du bringst den Mund nicht auf. Nun mußt du mich küssen.«
Er zog sie auf die Zehenspitzen und küßte sie auf den Mund. Die Männer und Frauen brachen in Hochrufe aus. Laren hörte Tabys helle Stimme aus dem Jubelchor heraus.
Merrik blickte ihr lange in die Augen. Dann rief er: »Nun wollen wir uns zum Hochzeitsmahl setzen.«
Ein Dutzend lange Tische waren im Freien aufgestellt worden. Dampfende Schüsseln mit Wildschweinbraten, Platten mit gedünstetem Dorsch, eingelegten Heringen und Lachs in Ahornblättern wurden aufgetragen; dazu gab es knuspriges Roggenbrot und Hirsefladen, Erbsen, gedünstete Apfel und Zwiebeln. Zum Trinken standen Fässer mit Met und Gerstenbier bereit. Außerdem wurde schwerer Rotwein aus dem Rheinland aufgetischt. Die Frauen hatten sich alle Mühe gegeben, und Sarla beaufsichtigte das Aufträgen der Speisen mit Umsicht und zufriedener Miene.
Laren, die ihre Gefühle zwei bittere Jahre im Zaum gehalten hatte, blickte in die fröhlichen Gesichter der Männer und Frauen, auf die liebevoll gedeckte Festtafel und schließlich auf ihren frischgebackenen Ehemann. Sie senkte den Kopf, und Tränen tropften auf ihr schönes Festgewand.
Merrik zog sie schmunzelnd an sich. »Ja, es ist einfach überwältigend. Unsere Leute meinen es gut mit uns. Das ist jetzt dein Zuhause.«
Sie schniefte, hob den Kopf und wischte sich die Augen.
Auf die Rufe: »Laßt uns auf Braut und Bräutigam trinken!« hob Merrik seinen Krug: »Hört, hört!«
Kurz vor Sonnenuntergang hatte das vor Stunden begonnene Hochzeitsmahl seinen Höhepunkt bereits überschritten. Die Gäste waren fröhlich und angeheitert — sehr angeheitert, dachte Laren. Merrik und Laren hatten sich mit Essen und Trinken zurückgehalten, denn es war die Aufgabe der Gastgeber, darauf zu achten, daß die Gäste in ihrer Trunkenheit nicht über die Stränge schlugen. Wikinger wußten ihre Feste lautstark und tatkräftig zu feiern.
Laren aß ein Stück scharfen Ziegenkäse und trank einen Schluck warmes Bier nach. Eine leichte Benommenheit überkam sie.
Ihr Blick fiel auf Merrik, der gerade Roran von Eller wegzog, dem kleinen Mann, dessen Hosen sie auf der Heimfahrt getragen hatte. Heimat, dachte sie und blickte in die Runde. Sie hörte Merriks Lachen, sah, wie er Roran hochhob und ihn dem Alten Firren zuwarf, der aber auswich und seelenruhig zusah, wie Roran in einem Haufen abgenagter Knochen landete.
Merrik war ein schöner Mann, ein guter Mann. Sie beobachtete, wie er sich einer Gruppe spielender Kinder näherte, dessen Anführer Kenna war. Kenna äffte einen Betrunkenen nach, und die anderen Kinder mußten raten, wen er meinte.
Laren lachte, als Sarla ihr noch einen Krug Bier vorsetzte.
»Merrik warnte
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