Der Herr vom Rabengipfel
was in seinem Zustand der Trunkenheit nicht der Komik entbehrte, da ihm die Gesichtszüge entglitten. »Sie ist eine Sklavin. Erik hätte sie solange besteigen können, bis ihm der Schwanz abgefallen wäre. Es war sein gutes Recht.«
»Wie dem auch sei«, erwiderte Oleg achselzuckend. »Merrik glaubt nicht, daß sie Erik getötet hat. Die meisten von uns glauben ihr, da sie Rollos Nichte ist. Niemand hält sie für eine Lügnerin.«
»Ha! Sie tötete Erik, weil sie Merrik an der Angel hatte. Erik hätte Sarla nie im Stich gelassen, deshalb mußte Laren den Mann töten, der über Malverne herrschte. Ihr ging es um Malverne, und jetzt hat sie ihr Ziel erreicht.«
»Aber sie war ohnmächtig. Sie hat sich den Kopf an einem Stein angeschlagen. Ich selbst habe die Beule an ihrem Hinterkopf gesehen.«
»Ja, sie war bewußtlos, aber erst nachdem sie Erik den Schädel eingeschlagen hatte. Sie floh in heller Panik vor ihrer Schandtat.«
»Ich habe mich schon gefragt«, fuhr Oleg nachdenklich fort und blickte düster in seinen Bierkrug, »ob Erik niedergeschlagen wurde, um Laren das Verbrechen in die Schuhe zu schieben. Möglicherweise war sie und nicht Erik das Ziel eines tiefen Hasses. Was meinst du, Deglin?« Bei seinen letzten Worten schaute Oleg seinem Gegenüber direkt in die Augen. Deglins Blick wirkte plötzlich gehetzt, sein Gesicht war leichenblaß.
»Es gibt Leute, die sie nicht mögen, ihr nicht trauen«, fuhr Oleg fort. »Und du, Deglin haßt sie am meisten. Hat sie dir nicht deine Stellung weggenommen? Du warst vier lange Sommer Skalde bei uns. Und nun bist du nichts mehr. Sie hat dir alles genommen. Hat sie dich nicht gedemütigt und in deiner Mannesehre gekränkt? Hat sie Merrik nicht veranlaßt, dir das Bein zu verbrennen, nachdem sie versehentlich ins Feuer gefallen war?«
»Ja«, schrie Deglin und schlug mit der Faust auf seine mageren Schenkel. »Genauso war es. Ich wollte Merrik mit meinem Schweigen schützen. Aber jetzt sage ich die Wahrheit. Es ist Zeit, daß die Hexe für ihr Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Ich stelle mich nicht mehr schützend vor diese Familie. Denen schulde ich nichts.« Er richtete sich auf und straffte seine abfallenden Schultern. In seine Augen trat ein irres Flackern. »Ich sah, wie sie Erik niederschlug. Und als ihr klar wurde, was sie getan hatte, rannte sie weg, stolperte, stieß sich den Kopf an einem Stein und verlor das Bewußtsein. Aber vorher hat sie Erik umgebracht. Ich schwöre es. Ich war Zeuge. Sie hat nicht aus Notwehr gehandelt, denn sie war heiß auf ihn. Und nachdem sie es mit ihm getrieben hatte, und er noch benommen war, schlug sie ihm den Felsbrocken auf den Kopf und tötete ihn. Ich habe alles gesehen.«
In diesem Moment tauchte Laren auf, und ihr Gesicht war so bleich wie gesponnene Wolle. »Warum lügst du Deglin? Warum?«
»Du falsche Schlange!« schrie Deglin und sprang auf die Füße. »Du hast mir alles kaputtgemacht! Ich war ein angesehener Mann, bevor Merrik dich aus dem Sklavenring holte. Du hast mir alles genommen! Du hast Erik getötet. Ich habe gesehen, wie du ihm den Stein über den Schädel geschlagen hast, als er, benommen von seiner
Wollust, auf dir lag. Du hast ihn umgebracht, nachdem du mit ihm gehurt hast, wie du jetzt mit seinem Bruder hurst. Du hast ihn ermordet, weil du Malverne haben wolltest. Wirst du auch Merrik umbringen?«
Sie starrte ihn an. Das Ausmaß seines Hasses war bestürzend. »Warum haßt du mich so sehr?« brachte sie schließlich hervor.
»Ich hätte dich töten sollen. Als ich dich dort liegen sah, hätte ich dich ...« Deglin stürzte mit ausgestreckten Händen und die Finger zu Krallen gebogen, auf sie zu.
Da schoß Olegs rechter Arm vor, packte Deglin am Hals und hob ihn in die Höhe. Deglin krallte ihm die Finger in die Hand, um freizukommen. »Du willst Laren erwürgen, du Wurm? Du Lügner?!« spie Oleg ihm ins Gesicht. »Du lügst, jetzt wissen es alle. Du hast Erik getötet, um Laren die Schuld zuzuschieben. Sie erinnert sich, daß du dich über sie gebeugt und sie voller Haß angelächelt hast, weil du kurz zuvor Erik erschlagen hattest. Du bist ein Dummkopf, Deglin. Neid und Eifersucht haben dir den Verstand zerfressen.«
Er ließ den Skalden los, der daraufhin unsanft auf den Knien landete und sich ächzend den Hals rieb. Oleg hob den Fuß, doch Merrik gebot ihm Einhalt: »Nein, Oleg. Hör auf!«
Deglin hob den Kopf. Bei Merriks Anblick wußte er, daß es um ihn geschehen war. Er
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