Der Herr vom Rabengipfel
flüsterte sie in sein weiches Haar. »Ich weiß es nicht. Aber wir denken darüber nach.«
Merrik war herangetreten und hörte schweigend zu.
»Ich will dich und Merrik nicht verlassen«, sagte Taby. »Lieber will ich kein Prinz sein.«
Merrik ging neben den beiden in die Hocke und tätschelte den Arm des Kindes. Taby wandte sich ihm zu, seine Augen blinzelten schlaftrunken, und seine Mundwinkel bebten. Merriks Magen krampfte sich zusammen. Er holte tief Luft und versuchte zu erklären: »Erinnerst du dich, Taby, als ich dir sagte, wie bedeutend deine Herkunft ist, und daß niemand von uns Einfluß darauf nehmen kann?«
Taby nickte, sagte aber trotzig: »Das ist mir egal.«
»Ich weiß. Aber ich trage die Verantwortung für dich. Ich kann nicht zulassen, daß du deiner Bestimmung entzogen wirst. Möglicherweise wirst du eines Tages zum Herzog der Normandie ernannt.«
Das Kind entriß sich Larens Umarmung. »Ich hasse dich, ich hasse euch beide! Ihr wollt mich bloß loswerden!« Damit rannte er in die Schlafkammer, in der acht Kinder eng aneinandergekuschelt in einem einzigen großen Bettkasten schliefen.
Laren sprang auf die Füße, doch Merrik hielt sie zurück. »Nein, laß ihn. Er ist noch so klein, Laren. Er muß erst lernen, daß es Pflichten und Verantwortungen gibt, nach denen wir uns alle richten müssen.«
»Er erinnert sich nicht mehr an früher. Die beiden letzten Jahre waren sehr schwer für ihn. Er fürchtet sich vor dem Ungewissen, denn das war das einzige, was er in seinem kurzen Leben kennenlernte.«
»Genau wie seine Schwester. Wir werden später nach ihm sehen. Sag mir, was hältst du von Rorik und Mirana.«
»Sie ist schöner als Caylis und Megot.«
Darüber lachte er. »Früher haßte ich sie, hielt sie für böse, weil ihr Halbbruder Einar ein Schurke war. Ich hielt sie für eine Hexe mit ihrem schwarzen Haar und ihrer weißen Haut. Wie sehr ich mich irrte! Als junger Mensch hat man es nicht leicht. Man macht so viele Fehler und sieht Schlangen, wo Regenbogen sind. Und was hältst du von meinem Bruder?«
»Rorik ist wie alle Wikinger. Er ist schön, gut gebaut und kämpferisch.«
Merrik blickte sie fragend an. »Und?«
»Und sein Hund wird in unserem Bett schlafen, fürchte ich. Er hat herausgefunden, daß er mich leichter umwirft als Mirana und mir das Gesicht ablecken kann, bis seine Zunge trocken ist.«
Merrik küßte sie herzhaft auf den Mund.
Die Abreise in die Normandie wurde auf den Tag des Halbmondes festgelegt. Merrik überließ Roran und Cleve die Führung der Männer und die Aufsicht über Malverne. Sarla sollte das Hauswesen beaufsichtigen. Und Taby schmollte. Er schmollte seit seinem nächtlichen Wutausbruch. Am Morgen der Abfahrt ließ er sich von Laren umarmen und küssen, doch als Merrik vor dem Kleinen in die Knie ging, wandte Taby sich beleidigt ab.
Laren sah die Trauer in Merriks Gesicht. Zorn stieg in ihr hoch. Sie nahm Tabys Arm und riß ihn unsanft zu sich herum. »Wie kannst du dich dem Mann gegenüber so verhalten, der dir das Leben gerettet hat, der auch mein Leben gerettet hat? Der Mann, der dir deine Stellung zurückgeben wird?«
Der Kleine hielt den Kopf gesenkt und grub seine nackten Zehen in die harte Erde.
»Antworte, Taby! Du bist königlichen Geblüts, doch du benimmst dich wie ein Flegel! Was ist eigentlich los mit dir?«
»Er hat mich nicht gern, Laren.«
Sie erschrak. »Was sagst du da?«
»Er kann mich nicht leiden. Sonst würde er mich nicht verlassen und würde Onkel Rollo nicht sagen, wer ich bin.«
»Das reicht. Hör mir gut zu: Merrik liebt dich mehr, als irgendeinen anderen Menschen auf der Welt.«
Taby schüttelte den Kopf. »Nein. Sonst würde er mich nicht verlassen. Er nimmt sogar dich mit.«
»Aber das ist etwas anderes. Ohne mich kann er Onkel Rollo kaum überzeugen. Ich kenne alle Höflinge. Ich kann Merrik helfen. Er braucht mich. Dich läßt er hier, weil er besorgt um dich ist und dich keiner Gefahr aussetzen möchte.«
»Ist er um dich nicht besorgt?«
»Nicht sehr. Ich habe bewiesen, daß ich überleben kann.«
»Das habe ich auch.«
»Du bist ein eigensinniger, kleiner Junge.« Ihre Finger strichen durch sein Wuschelhaar. »Hör zu, Taby. Merrik nimmt mich mit, weil ich ihm nützlich bin. Er nimmt dich nicht mit, weil er dich liebt und dich keiner Gefahr aussetzen möchte. Er will nicht, daß dir etwas zustößt.«
»Macht es ihm nichts aus, wenn dir etwas zustößt?«
Sie schüttelte seufzend den Kopf, und
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