Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
Vom Netzwerk:
du?«, fragte Jacquemort.
    »Zwanzig«, sagte sie.
    »Woher stammst du?«
    »Aus dem Dorf.«
    »Wie bist du aufgezogen worden? Welches ist dein frühestes Erlebnis, an das du dich zurückerinnern kannst?«
    Er sprach leichthin im Plauderton, um ihr Vertrauen zu gewinnen.
    »Erinnerst du dich an deine Großeltern?«
    Sie überlegte eine Minute lang.
    »Weshalb haben Sie mich eigentlich kommen lassen?«, fragte sie. »Um mich alle diese Dinge zu fragen?«
    »Auch deshalb«, sagte Jacquemort vorsichtig.
    »Das sind Dinge, die Sie nichts angehen«, sagte sie.
    Sie erhob sich und setzte sich mit den Beinen über die Bettkante auf.
    »Besteigen Sie mich nun oder nicht?«, fragte sie. »Deswegen bin ich gekommen. Das wissen Sie genau. Ich kann vielleicht nicht gut reden, aber so dumm bin ich nun auch wieder nicht, dass Sie sich über mich lustig machen dürfen.«
    »Oh, hör bloß auf!«, sagte Jacquemort. »Du hast einen viel zu schlechten Charakter. Morgen kommst du bestimmt wieder.«
    Sie stand dennoch auf. Sie ging an dem Psychiater vorüber, und das Profil ihrer Brust machte ihn weich.
    »Nun komm schon«, sagte er, »bleib doch im Bett. Ich komm ja schon.«
    Leicht keuchend kehrte sie eilig an ihren Platz zurück. Als sich Jacquemort ihr näherte, wandte sie sich ab und kehrte ihm die Hinterseite zu. Er nahm sie in dieser Stellung, wie am Morgen hinter der Hecke.

20
    Angel ruhte ausgestreckt neben Clémentine. In dem Dreierbett lagen die drei Kinder in einem traumlosen und von kleinen unruhigen Schnarchern durchsetzten Schlummer. Sie schlief nicht. Er wusste das. Seit einer Stunde schon lagen sie nebeneinander in der Dunkelheit.
    Auf der Suche nach einer kühlen Stelle wechselte er seinen Platz. Dabei geriet sein Bein an das von Clémentine. Sie schrak auf und schaltete ebenso plötzlich das Licht ein. Angel stützte sich noch etwas schlaftrunken mit den Ellbogen auf dem Kopfkissen auf, um sie anzusehen.
    »Was gibt es?«, fragte er. »Ist dir nicht gut?«
    Clémentine setzte sich auf und schüttelte den Kopf.
    »Ich kann nicht mehr«, sagte sie.
    »Was kannst du nicht mehr?«
    »Ich kann dich nicht mehr ertragen. Ich kann nicht mehr neben dir schlafen. Niemals werde ich je wieder schlafen können, wenn ich mir dabei vorstelle, dass du mich jeden Augenblick berühren könntest. Dich mir näherst. Wenn ich nur spüre, wie die Haare deiner Beine die meinen streifen, werde ich wahnsinnig. Ich könnte schreien.«
    Ihre Stimme war gespannt und bebte vor lauter zurückgehaltenen Schreien.
    »Geh anderswohin schlafen«, sagte sie. »Hab Mitleid mit mir. Lass mich.«
    »Liebst du mich nicht mehr?«, fragte Angel dumm.
    Sie sah ihn an.
    »Ich kann dich überhaupt nicht mehr anfassen«, sagte sie, »und selbst wenn, dann könnte ich mir nicht vorstellen, dass du mich berührst, sei es auch nur für einen Augenblick. Es ist schrecklich.«
    »Bist du wahnsinnig?«, meinte Angel.
    »Ich bin nicht wahnsinnig. Jeder körperliche Kontakt mit dir verursacht mir Grauen. Ich mag dich sonst gern ... das heißt, ich möchte, dass du glücklich bist ... aber nicht so ... das kostet mich zu viel. Nicht um diesen Preis.«
    »Aber«, sagte Angel, »ich wollte dir doch nichts tun. Ich habe mich anders hingelegt und dich dabei gestreift. Krieg jetzt bloß keine Zustände.«
    »Ich kriege gar keine Zustände«, erwiderte sie. »Das ist ab jetzt mein Normalzustand. Schlaf in deinem Zimmer! ... Ich flehe dich an, Angel, hab Mitleid mit mir.«
    »Dir geht’s wirklich nicht gut«, murmelte er und schüttelte den Kopf.
    Er fuhr ihr mit der Hand über die Schulter. Sie zitterte, ließ es aber geschehen. Er küsste sie sanft auf die Schläfe und erhob sich.
    »Ich geh jetzt zu mir rüber, mein Liebes«, sagte er, »beruhige dich ...«
    »Hör zu«, sagte sie noch, »ich ... ich möchte nicht ... ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll ... ich möchte nicht mehr ... ich glaube nicht, dass ich jemals wieder von vorne ... versuche, eine andere Frau zu finden. Ich bin nicht eifersüchtig.«
    »Du liebst mich nicht mehr ...«, sagte Angel traurig.
    »So nicht mehr«, sagte sie.
    Er ging hinaus. Sie blieb auf ihrem Platz sitzen und sah neben sich auf die Delle, die Angel am unteren Rand seines Kopfkissens hinterlassen hatte. Er schlief immer mit dem Kopf ganz unten am Kissen.
    Eines der Kinder bewegte sich unruhig im Schlaf. Aufmerksam lauschte sie. Das Kleine schlief wieder ein. Sie hob ihre Hand, um das Licht zu löschen. Nun hatte sie das ganze Bett

Weitere Kostenlose Bücher