Der Herzausreißer
Kleidung. Clémentine hatte schwarze Hosen und eine dazu passende Jacke an. Die drei kleinen Racker strahlten in ihren schmucken Zellophanhüllen.
Angel ging hinunter, um den Wagen herauszufahren.
Clémentine trug Noël und Joël, Citroën vertraute sie dem Kindermädchen an. Von Zeit zu Zeit sah er seine Mutter an, und sein feiner Mund kräuselte sich schaudernd. Er weinte nicht. Citroën weinte nie. Clémentine warf ihm bisweilen einen ironischen Blick zu und tat so, als wolle sie Noël und Joël liebkosen.
Der Wagen hielt vor dem Treppenaufgang, und alle stiegen ein. Jacquemort als letzter. Er trug die Tüten mit den Bonbons, den Geldstücken und den Schmalzgrieben, die man nach der Zeremonie an die Kinder und Tiere des Dorfes verteilen würde.
Der Himmel war wie gewöhnlich von einem unerschütterlichen Blau, und der Garten erstrahlte in seinem Purpur und Gold.
Der Wagen fuhr los. Angel chauffierte vorsichtig wegen der Kinder.
Jedes Mal wenn sich das Kindermädchen bewegte, hörte man das laute Geraschel von Taft. Es war ein sehr schönes Gewand. Jacquemort jedoch zog das andere aus Pikee vor, weil es ihre Formen besser zur Geltung brachte. In diesem hier sah sie wie ein waschechter Bauerntrampel aus.
19
2. September
Der Schatten verdichtete sich um Jacquemort. An seinem Schreibtisch sitzend, meditierte er. Eine gewisse Schlaffheit hinderte ihn daran, das Licht anzuschalten. Es war ein anstrengender Tag gewesen, der letzte einer anstrengenden Woche, und nun suchte er seinen Seelenfrieden wiederzufinden. Während all dieser Tage aufgeregten Fieberns hatte er kaum den Drang zum Psychoanalysieren verspürt; nun jedoch, da er allein und entspannt in seinem Zimmer saß, fühlte er deutlich und beängstigend, wie die Leere und die Abwesenheit jeglicher Leidenschaft, zuzeiten von einem Unmaß an Bildern überwuchert, sich wieder bemerkbar machten. Ungewiss und wunschlos wartete er, dass das Dienstmädchen an seine Türe klopfe.
Es war heiß in seinem gebeizten Zimmer, und deshalb roch es gut nach Holz; das nahe Meer kühlte den brennheißen Atem der Luft und machte ihn wohltuend und erquickend. Draußen hörte man vereinzelte Vogelschreie und das gläserne Flügelsirren der Insekten.
Da scharrte es an der Tür. Jacquemort erhob sich, um zu öffnen. Das Bauernmädchen trat ein und blieb gelähmt vor Schüchternheit wie angewurzelt stehn. Jacquemort lächelte; er betätigte den Lichtschalter und schloss sorgfältig die Tür.
»Nun?«, sagte er. »Haben wir etwa Angst?«
Sogleich warf er sich seine eigene Vulgarität vor, verzieh sie sich aber wenige Augenblicke später wieder bei der Überlegung, dass sie eine vulgäre Person bestimmt nicht schockieren konnte.
»Setz dich ...«, schlug er vor. »Dort ... aufs Bett.«
»Ich trau mich nicht ...«, sagte sie.
»Nun komm schon«, sagte Jacquemort, »bei mir brauchst du dich nicht zu fürchten. Streck dich aus und entspann dich!«
»Soll ich mich ausziehen?«, fragte sie.
»Tu, wie du meinst«, sagte Jacquemort. »Zieh dich aus, wenn dich das reizt, und wenn nicht, dann eben nicht. Machs dir ganz bequem ... Das ist alles, worum ich dich bitte.«
»Werden Sie sich auch ausziehen?«, fragte sie etwas forsch.
»Also hör mal«, ereiferte sich Jacquemort, »bist du zum Psychoanalysieren oder zum Kopulieren hierher gekommen?«
Sie senkte verschämt den Kopf, und Jacquemort fühlte sich leicht erregt durch soviel Ignoranz.
»Ich verstehe Ihre schwierigen Wörter nicht«, sagte sie. »Ich will gern tun, was Sie mir sagen.«
»Aber wenn ich dir doch sage, du sollst das tun, was du willst«, beharrte Jacquemort.
»Ich mag es aber, dass man mir sagt, was ich zu tun habe ... schließlich bin ich es ja nicht, die hier zu befehlen hat.«
»Also leg dich hin, wie du bist«, sagte Jacquemort.
Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Sie sah ihn von unten herauf an und streifte, plötzlich entschlossen, mit einer gekonnten Bewegung den Kittel ab. Es war eines ihrer Alltagskleider, das sie sich nach der Taufe wieder angezogen hatte, ein geblümter reizloser Kattunkittel.
Jacquemort musterte sie genau; etwas schwerfällig, aber ansonsten gut gebaut, runde, dralle Brüste, der Bauch noch nicht durch die Arbeit verunstaltet. Sie legte sich auf das Bett, und er stellte sich vor, wie er nach ihrem Weggang von der Ausdünstung dieser Frau beim Zubettgehen irritiert sein würde.
Ihr Gang war etwas linkisch, aber das war zweifellos ein Rest von Scham.
»Wie alt bist
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