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Der Herzberuehrer

Der Herzberuehrer

Titel: Der Herzberuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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schlimmer aus, als es ist, glauben Sie mir. Zumindest äußerlich. Was allerdings die Verbrennungen angeht...«. Er hielt auf der Treppe inne und wartete, bis wir auf gleicher Höhe waren.
    »Ja?«
    »...Da ist es sehr wahrscheinlich, dass er im Anschluss professionelle Hilfe benötigt. Die hat er sich nicht selbst beigebracht. Und wenn die Abmagerung und die Verletzungen in Zusammenhang stehen - wovon ich mal wie sicher ausgehe - dann hat er traumatisierende Erlebnisse hinter sich. Schlimme, über einen längeren Zeitraum. So etwas ist ohne Unterstützung vermutlich kaum zu bewältigen. Bedenken Sie das bitte, wenn er erwacht.«
    Ich nickte betroffen, wohl wissend, dass unsere erste Begegnung nach über einem Jahr in jede nur erdenkliche Richtung abdriften konnte.
    Noch als ich dem, in einer Staubwolke verschwindenden Wagen des Doktors nach sah, stellte ich mir die Frage, ob ich das wirklich wollte. Ein Wiedersehen mit ihm.
    So?
    Nach all dem?
    Unter diesen Umständen...?
    ·
    Öffnete man die holzgefasste Glasflügeltüre in Fabios Zimmer, so gelangte man auf einen geräumigen Balkon, der einem einen atemberaubenden Blick ins Tal bot. Ein schlichtes, geschmiedetes Gitter ließ einen Durchblick auf die Landschaft zu, den kein anderer Raum im ganzen Gebäude bieten konnte. Eine sandfarbene ausziehbare Markise sorgte für ausreichenden Sonnenschutz, ein kleiner Blechtisch und zwei kompakte Korbsessel für den nötigen Komfort.
    In einem dieser saß ich nun, den Blick gen Osten, in die Landschaft gerichtet.
    Mein eigenes Zimmer lag baugleich genau darüber, allerdings ohne diesen Tritt nach Aussen.
    So langsam spürte ich, wie die Sehnsucht nach meinem Bett in mir wuchs. Seit der gestrigen Nacht hatte ich kein Auge zugetan. Also forderte mein Körper allmählich, was ihm zustand.
    Es hatte vor Stunden aufgehört zu schütten, aber noch immer hingen Dunst und tiefe Wolkenfetzen über den regennassen Baumwipfeln des Waldes. Sie würden sich jedoch nicht mehr lange halten können. Innerhalb der nächsten Stunden machten sie voraussichtlich einem strahlenden Tag Platz. Die einsetzende Wärme war schon beinahe zu fühlen.
    Ich legte meine Füße auf den Stuhl gegenüber, streckte mich müde und sah durch die geöffnete Türe auf den schlafenden Körper in Fabios Bett.
    Shiro hatte Schlimmes hinter sich gelassen. Ich erinnerte mich noch sehr gut an seinen Vater und an dessen Gewaltausbrüche, an die jahrelangen Misshandlungen durch ihn, an Shiros Kehlkopfverletzung, der er seine eigenartig raue Stimme zu verdanken hatte. Gewalt hatte seit jeher zu seinem Alltag gehört. Und nun lag er hier, ein Haufen Knochen, wie Jack bemerkt hatte, und wieder war ihm Schlimmes, wirklich Schlimmes widerfahren.
    Es sprengte meine Vorstellungskraft.
    ·
    Als ich erwachte, saß er mir gegenüber. Er saß da und beobachtete mich. Er hatte sich ein Laken über den Körper gezogen und ein scheues Lächeln entglitt ihm, als unsere Blicke sich berührten.
    »...Luca...«, sagte er matt, und sein Lächeln wurde breiter, als er die Überraschung in meinem Gesicht bemerkte.
    »...Wie... wie bist du...?«, fragte ich verwirrt, zwischen Schlafen und Wachen, ohne eigentlich zu wissen, was ich sagen sollte.
    »...Hab dich hier sitzen sehen.«, antwortete er einfach nur, ohne mich aus den Augen zu lassen. Den Tropf, an dem er angeschlossen war, hatte er hinter sich hergezogen, aber im Zimmer stehen lassen, so dass sich nun ein Schlauch mit klarer Flüssigkeit bis zu seiner rechten Armbeuge spannte.
    »Wie bin ich denn hier hergekommen?«
    »Das weißt du nicht?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Du hast vor unserer Tür gelegen... Halbtot.«
    »Es tut mir... leid...«, sagte er mit gesenktem Blick, während er sich seine ewige Haarsträhne aus der Stirn strich. Es klang so allgemeingültig, so umfassend, dass mir nicht sofort klar werden wollte, was ihm denn nun eigentlich leid tat.
    »Du solltest dich hinlegen...«, versuchte ich es mit therapeutischer Tonlage, «...und wir reden später, wenn es dir besser geht. Okay?«
    Er nickte und erhob sich langsam, sichtlich erschöpft, aus dem Korbstuhl und schlurfte, den Tropf wie ein ungeliebtes Spielzeug hinter sich herziehend, zu seinem Bett.
    »Luca...?«, fragte er schließlich, als er sich matt zurücklegte. »...Kann ich... kann ich ein paar Tage hier, bei dir bleiben...?« Ich sah seinen Augen an, dass er Angst davor hatte, dass meine Antwort negativ ausfallen könnte. »...Nur bis es mir besser geht...«,

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