Der Herzberuehrer
auf ihn verlassen konnte.
Wie versprochen hörte ich dann, am frühen Mittag, schwere Räder auf dem Kies der vorderen Terrasse. Jack ignorierte gerne die Besucherparkplätze neben der Kapelle. Er stellte seinen alten Geländewagen mit Vorliebe direkt vor meiner Tür ab.
Etwas gehetzt wirkend, begrüßte er mich mit einer seiner flüchtigen Umarmungen. Und die tat gut, in diesem Moment. Endlich war jemand da, zu dem so etwas wie Nähe existierte. So vage diese auch sein mochte. Denn ich fühlte mich alleine mit dieser Situation. Viele Freunde hatte ich nicht.
»...Ach du... Oh mein Gott...«, entwich es ihm, als er sah, worum es ging.
»So haben wir ihn gestern Abend gefunden.«
»Ich...«
»Verstehst du jetzt?«
»Der muss in eine Klinik. Aber sofort.«
»Nicht unbedingt sofort, meinte der Arzt gestern...«
Jack hob zweifelnd eine Augenbraue.
»Gut, er war Zahnarzt, aber er wirkte so als wisse er, wovon er redet. Ich kann dir das jetzt nicht erklären, aber es muss alles gut überlegt sein. Wenn möglich, wäre es besser kein Krankenhaus...«
»Habt ihr schon miteinander reden können?«, unterbrach er mich immer noch sichtlich fassungslos.
»Nein. Das ist es ja.«
»Gut. Nachvollziehbar. Aber so wie der aussieht, braucht er dringend professionelle Betreuung, und die kannst du hier oben mit Sicherheit nicht leisten.«
»Das wird sich zeigen...«
»Wird es! Darauf kannst du einen lassen. Der Junge hier sieht nicht so aus, als ob er hier einfach ruhig liegen bleibt, wenn er die Augen aufklappt. Der will sein Leckerli...«
»Jack, lass das. Das hier ist Shiro.«
»Das war mal Shiro, Luca, mach dir nichts vor. Dieser Sack Knochen hier hat nichts mehr mit dem süßen Sushi-Boy zu tun, den wir einmal kannten. Das muss dir doch klar sein.«
An sich war ich ja damit vertraut, wie er die Dinge auf den Punkt brachte, aber dieses Mal verletzten mich seine Worte. Auch, wenn er vermutlich sogar Recht damit hatte.
»Also gut. Ich schick dir Cattagio. Aber er wird dir dasselbe sagen wie ich.«
»Danke...«
»Ich weiß wirklich nicht ob das ein Gefallen ist, den ich dir da tue...«. Er sagte dies eher zu sich selbst, hatte ich den Eindruck, blickte dabei auf Shiro und schüttelte entrückt den Kopf. »...Weißt du, für mich war er immer... ja - ultimativ. Shiro... anbetungswürdig, vollendet. Diese Wangenpartie... Gott, beneidet hab ich dich.«
»Nein, das wusste ich nicht.«
Er lächelte irgendwie versonnen, so als hing er alten Erinnerungen nach. »Spielt ja auch keine Rolle...«, sagte er schließlich, mit einem letzten Blick auf das Bett.
»...Äußerlichkeiten, mehr nicht... «.
·
Dr. Cattagio, ein ergrauter Riese mit gewaltigem Unterkiefer, zu dem seine hohe Falsett-Stimme so gar nicht passen wollte, ließ sich viel Zeit mit der Untersuchung. Jack hatte sein Versprechen umgehend eingelöst und ich war verblüfft und froh, wie rasch der Arzt bei uns erschienen war. Jack musste es wirklich dringend gemacht haben.
Der zweite, erleichternde Moment an diesem Tag war dann jener, als Dr. Cattagio weitestgehend Entwarnung verkündete.
Die Bewusstlosigkeit war einer tiefen Erschöpfung gewichen. Das war das eine. Und es wies nichts auf einen ausgedehnten Drogenmissbrauch hin. Das war das andere.
Sicher, Drogen waren es wohl gewesen, die letztendlich zur Bewusstlosigkeit geführt hatten, doch einen dauerhaften Konsum schloss Dr. Cattagio aus.
»Ich müsste mich schon sehr irren, aber ich bin mir sicher, dass die Tests das bestätigen werden. Er ist einfach nur sehr erschöpft. Bei dieser Unterernährung auch kein Wunder«. Er lächelte freundlich und schob mir drei Schachteln mit Tabletten über den Tisch. »Ich habe ihm etwas zur Entspannung gegeben und ein Aufbaupräparat gespritzt. Wenn er erwacht, geben sie ihm alle drei Stunden von diesen...«. Er tippte auf die Päckchen. »...Das sollte seine Mangelerscheinungen rasch beseitigen. Ich komme morgen früh vorbei und wechsele den Tropf mit der Kochsalzlösung. Dann haben wir sicher auch schon die ersten Testergebnisse«. Er streckte mir eine seiner gewaltigen Hände entgegen, die ich dankbar ergriff und verabschiedete sich.
»Eine Krankenhauseinweisung ist wirklich nicht nötig?«, fragte ich erleichtert, nur noch mal zur Bestätigung, während wir gemeinsam das Zimmer verließen.
»Die hätte gestern Abend Sinn gemacht. Da stand es womöglich auf der Kippe, aber heute? Nein, da gibt es nicht, was hier nicht auch erledigt werden könnte. Es sieht
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