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Der Herzberuehrer

Der Herzberuehrer

Titel: Der Herzberuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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auf den einen, meinen Bruder mit Flüchen zu überhäufen.
    ·
    Der Sonnenaufgang war um diese Jahreszeit so um halb acht. Ab da tauchte sich der Himmel allmählich in jenes tiefe kühle Blau, dass ich so sehr liebte, bis sich an wolkenfreien Tagen dann irgendwann ein in sattem Orange gebetteter Streifen Gold über das Tal ergoss. Wie lange war es her, dass ich mir am Morgen die Zeit genommen hatte, draußen auf meiner Mauer zu sitzen, Caffè zu trinken und diesem Schauspiel zu folgen.
    Nun lag ich hier mit Renzo auf dem eiskalten Steinboden, ungewollt befriedigt, fror mir die Seele aus dem Leib und wartete darauf, dass meine Mutter sich endlich dazu entschloss, die Kapelle zu verlassen.
    Das Schluchzen war irgendwann verstummt, allerdings zu Gunsten einer endlos gemurmelten Litanei, die schon in unserer Kindheit die Fähigkeit besessen hatte, Zeit wie Kaugummi zu dehnen.
    Mein Rücken hatte angefangen zu schmerzen, und die Kälte durchzog mittlerweile meinen gesamten Körper. Wir hatten uns zwar seitlich gedreht, Rücken an Bauch, in Löffelposition, um die Wärme in uns miteinander zu teilen, aber auch das half nun nicht mehr richtig. Ich war einfach nur todmüde, total genervt und völlig erledigt.
    Der Punkt war erreicht, an dem etwas passieren musste. So jedenfalls ging es nicht weiter.
    Also entwickelte ich einen Plan.
    Ich gab Renzo ein Zeichen, dass er sich still verhalten sollte und kroch ganz langsam, so leise es eben ging, Richtung Kapellentür.
    Mir war klar, dass sie sich nicht völlig geräuschlos öffnen ließ, dazu war sie einfach zu schwer und zu alt, doch das sah mein Plan auch gar nicht vor.
    Ich rechnete damit, dass Valentina sehen würde, was sie sehen wollte. Genau darauf baute meine ganze Idee auf.
    Zuvor hatte ich mir noch, so leise es eben ging, Lorenzos T-Shirt übergezogen, denn halbnackt wollte ich meiner Mutter nun nicht gerade gegenüber treten, schon gar nicht nach dieser Nacht, mit Renzos Blut auf meinem Bauch.
    Tatsächlich erreichte ich die Türe weitestgehend lautlos, wenn auch sehr, sehr langsam, da meine Gelenke durch die Kälte mittlerweile total versteift waren.
    Schließlich ging ich mit knackenden Knien aus der Hocke in die Höhe, blickte noch einmal Richtung Altar, auf den geraden Rücken meiner Mutter, um dann geräuschvoll die schwere Türe zu öffnen.
    Und es geschah exakt das, was ich mir erhofft hatte.
    Valentina drehte sich zu mir und das, was sie glaubte zu sehen, war nun ihr jüngster Sohn, der just in diesem Moment die Kapelle betrat, um nach ihr zu suchen, oder sonst irgendetwas dort zu erledigen hatte.
    Mit möglichst entspanntem Schritt durchmaß ich den kleinen Andachtsraum und tat überrascht.
    »Ich dachte nicht, dass sich um diese Zeit schon jemand hier befindet...«
    »Wie du dir denken kannst, war es nicht so einfach, Ruhe in dieser Nacht zu finden...« Sie sagte es ohne jeden Vorwurf, doch ich hörte die Resignation aus ihrer Stimme. »...Aber was machst du hier so früh...«
    »Zwei der Kellner haben hier eine Flasche Poli stehen lassen, ihren Feierabendschluck...« Ich hatte mich mittlerweile neben sie gesetzt, sah in ihr mageres, ausdrucksloses Gesicht und wies auf die Fensternische, in der ich den Grappa abgestellt hatte, »...Die wollte ich reinholen, bevor der Tag anbricht.« Ein Lächeln meinerseits. »...Ich konnte auch nicht schlafen, nach dieser Nacht...«
    »Du hast da Blut am Hals...«, stellte sie nüchtern fest.
    »Renzo...«
    Ich war mir sicher, dass sie bereits über das eine oder andere Detail des nächtlichen Disputs unterrichtet war. Ich hoffte, nur über das eine...
    »Ich weiß nicht, was in deine Brüder gefahren ist, aber du sollst wissen, dass ich es nicht billige...«
    Ihr harter Blick wanderte kurz zu dem hölzernen Gekreuzigten über dem Altar, dann wieder zu mir, in mein verbliebenes Auge. «...Irgendwie seid ihr mir alle entglitten...«
    Es war mir nicht klar, was sie mit dieser Äußerung bezweckte, aber es war mir auch egal. Es interessierte mich nicht. Ich wollte nur noch hier raus, ins Warme.
    »Würdest du mich begleiten...«, fragte ich daher so unbefangen wie möglich, während ich aufstand und ihr meine Hand reichte. Das war sonst nicht so meine Art, aber zu meiner Überraschung ergriff sie sie tatsächlich, zog sich daran hoch, und ich war erschrocken, wie leicht sie doch war.
    »Meine Lieblingsstelle um diese Zeit, ich zeig sie dir, ja?«
    »...Und dein Poli...?«
    »Den lasse ich nachher holen...«
    Also gingen wir

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