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Der Herzberuehrer

Der Herzberuehrer

Titel: Der Herzberuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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    Vielleicht half mir dieser Fieberschub dabei. Ich wusste es nicht.
    Aber als ich dann am nächsten Morgen erwachte, völlig verschwitzt, mit Muskelkater am ganzen Körper, da war mir klar, dass es weniger was mit Renzo und der Kapelle zu tun hatte, sondern vielmehr mit all dem anderen. Denn das Fieber war verschwunden, eine Erkältung ausgeblieben.
    Irgendwie erfrischt, aber klapprig, stand ich auf, öffnete weit die Fenster und inhalierte genussvoll die kühle frische Luft. Ich fühlte mich gut.
    Es war ein diesiger Tag, einer derer, die grau bleiben würden, hier oben. An der Küste konnte das schon wieder ganz anders aussehen.
    Ich streckte mich und gähnte.
    Dieser Tag lag vor mir wie ein weißes Blatt Papier. Etwas ganz seltenes...
    Aber eines war klar. Ich würde Renzo bitten zu gehen. Und würde er bocken, dann würde ich deutlich werden müssen. Ich konnte ihn nicht mehr um mich haben. Nicht nach alldem. Renzo musste gehen. Ich brauchte Abstand. Dringend...
    Ein unbeschriebenes, weißes Blatt...
    Es wurde Zeit, es zu füllen...
    Wie schön ...
    ·
    Mein Spider trug mich wie schwerelos durch die Berge. Nur nicht so leise. Ich hatte mich fürs Alleinsein entschieden und das ging wirklich nirgends besser als in meinem über alles geliebten Wagen. An keinem anderen Ort konnte ich mir selbst so nahe sein wie in dieser kleinen, weißen Kiste. Es war, als verschmolzen wir miteinander, etwa so wie in diesem Stephen-King-Roman. Ein wenig war es aber auch wie zu Besuch in Danieles Kopf... Mir nirgendwo selbst so nahe sein...
    Ich hatte mich für eine Bergtour entschieden, eine, die neben einer kurvenreichen Strecke auch immer wieder eindrucksvolle Blicke ins Tal gewährte, sofern das Wetter mitspielte. Das war nun, an diesem Tag, nicht der Fall, aber darum ging es mir auch überhaupt nicht. Es tat einfach gut, die Beschleunigung zu spüren, diese elektrisierende Macht, die mich in den Sitz presste, meinen Körper in Kurven gegensteuern ließ, mir ein Lächeln entlockte, wenn ich einen Gang höher schaltete, und der Wagen das mit wohligem Sound quittierte. Diesen Rausch liebte ich, und an diesem Tag brauchte ich ihn. Es war sowas wie ein Stück Freiheit, das Wissen, ausbrechen zu können, wenn ich das wollte - musste...
    Wundervolles Alleinsein...
    Ich war allein.
    Allein...
    ...war wirklich allein...
    Ich lenkte auf den nebelverhangenen Parkplatz einer Aussichtsplattform und schaltete den Motor aus. So verharrte ich starr für Minuten, die Hände fest am Lenkrad, den Blick geradeaus in das Nichts des Dunstes gerichtet.
    Dann öffnete ich das Fenster und atmete tief die feuchte Luft. Meine Augen hielt ich geschlossen, und eine eigenartige Stille umfasste mich, so als ob sie mit dem Nebel in meinen Wagen gekrochen kam, durch Nase und Mund in mich hinein strömte, ganz so, als ob sie Besitz von mir ergreifen wollte.
    Fassbare, sichtbare, kühle Stille...
    Ich war alleine, ganz auf mich gestellt...
    Ich war... ich!
    Nicht... wir.
    Fabio...
    So sehr ich Fabio auch liebte, er war Gast meines Herzens, auf Zeit, so wie ich es auch bei ihm war. Freiheit nannten wir das, und genau so lebten wir es...
    Es war schön, an ihn zu denken, aber ein 'wir' gab es einfach nicht. Das hätte er mit einem Lachen sicher genau so gesehen, mein Fabio...
    Matteo? Matteo war wie ein alter, flohzerbissener Hund, der plötzlich erkennen musste, dass nicht mehr genug Sonne auf seinen Lieblingsplatz fiel. Er war mir der wichtigste Mensch in meiner Familie, und vielleicht war er das, weil er eben so stark war, so frei zu sagen - macht doch was ihr wollt, ich such mir einen wärmeren Ort - und es dann einfach tat. So wie ich einst...
    Ich begann zu weinen.
    Vielleicht in dem Moment, als ich begann, an Renzo zu denken. Die Tränen liefen durch meine geschlossenen Augen als kalte Rinnsale meine Wange hinab, und es tat weh... Mein Bauch zog sich zusammen, ebenso wie meine Brust, und ein eigenartiges Schluchzen, wie ein Klagen entwich mir, überraschend laut und heftig.
    In Renzo hatte ich mich getäuscht. Unglaublich getäuscht. In Renzo hatte ich mich schon mehrmals getäuscht, doch nicht so. Ich glaube, in diesem Moment, auf diesem Berg, da starb etwas in mir. Deswegen schmerzte es so sehr und daher auch dieser mir völlig fremde Laut, der aus mir herauskam, fast, als habe er Substanz, wie ein Wesen. So wie ich den Nebel einatmen konnte, die Stille, so atmete ich dieses Geräusch, diesen Schmerz aus und die damit verbundene Trauer. Wie

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