Der Herzberuehrer
zweiten Grappa, den er, nachdem er ihm serviert worden war, sofort hinunterkippte. Das war sonst nicht seine Art.
»Nenn mich feige, nenn mich herzlos...«, begann er seine kleine Rede, und ich spürte, wie schwer es ihm fiel, die richtigen Worte zu finden »...aber ich kann nicht... kann eurer Mutter nicht dabei zusehen...«
Das war es also! Ich verstand ihn nur zu gut. Ich wusste, wie nah sich die beiden einst gestanden hatten, und ich wusste auch davon, wie diese Nähe sich mehr und mehr begonnen hatte, aufzulösen. Matteo machte Giade mitverantwortlich dafür - Gründe gab es sicher viele.
»Und dann noch Antonio...« Er hob hilflos seine Hände in die Höhe. »Eigentlich sollte ein Vater doch da sein, für seinen Sohn... in einer solchen Situation... aber ich kann einfach nicht...«
»Antonio macht es dir nicht leicht...«, versuchte ich ihn zu trösten.
»Es ist nicht seine Aufgabe, mir etwas leicht zu machen, Luca. Es wäre meine Aufgabe, für ihn da zu sein«, fuhr er mich an, ohne es böse zu meinen. »Ich schaffe es aber einfach nicht...«
»Um eines vorweg zu nehmen...«, lenkte ich auf weniger problematisches Terrain, »Du kannst bei uns bleiben, solange du möchtest. Es ist gut, dass du da bist, und wir freuen uns alle darüber...«
Matteo schaute lange regungslos auf die Resopal-Platte vor sich, und als er seinen Kopf hob, sah ich, dass sich Tränen in seinen Augenwinkeln gesammelt hatten.
»Es ist gut, das zu wissen...«, sagte er mit belegter Stimme. »...Hat Orlando also doch Recht: Auf die Familie kommt es an...«
Verblüfft stellte ich fest, dass das ja tatsächlich stimmte.
Orlando hatte wirklich Recht behalten. Wenn auch anders vermutlich, als er dachte...
·
»...Nein, wirklich... es geht mir gut... und dir? Dir auch...?«
»Ja, danke. War eine turbulente Zeit. Die Hochzeit und alles... Kannst du dir ja sicher denken. Ich würde dich gerne sehen?«
»Ja? Ich würde dich auch gerne sehen...«
Mit Daniele zu telefonieren war im Grunde genau so enervierend, wie ein Gespräch mit ihm zu führen. Wie ein Pingpong-Spiel, bei dem der Ball nicht von der Stelle kam. Nervig und doch... interessant.
»Heute schaff ich es nicht...«, teilte ich ihm meine Planungen mit, »... aber Morgen oder Übermorgen...?«
Fehler! Zu unkonkret.
»Morgen? Oder Übermorgen?«
»Was hältst du von Mittwoch?«, kürzte ich ab. »Das ist Übermorgen. So gegen fünf?
»Finde ich schön. Hast du Pläne oder Wünsche...?«
»Eigentlich nicht. Wir könnten zum Hafen oder zum Strand fahren. Was meinst du?«
»Klingt beides gut...«
»Bis Mittwoch also...«
»Bis Mittwoch...«
Womit ich auch Punkt Zwei auf meiner Liste abhaken konnte.
Ich freute mich auf ihn. Auf seinen wirren, leicht verstörten Blick, auf dieses Lächeln, das einen immer genau dann überraschte, wenn man nicht daran dachte. Auf seine schrägen Fragen, seine rätselhaften Antworten und auf all das, was er zu erzählen hatte. Den Éle-Kosmos nannte ich seine Geschichten insgeheim, immer wieder beeindruckt darüber, welch komplexe Gedanken und Empfindungen diesem Menschen innewohnten.
Irgendwie hatte ich richtig Sehnsucht nach ihm...
·
Etwa eine halbe Stunde nach dem Telefonat begann ich zu frieren. Erst nur ein wenig, sodass ich dem Ganzen keine Bedeutung beimaß, dann etwas stärker, was mich stutzen und die Temperatur im Haus überprüfen ließ. Schließlich, nach weiteren eineinhalb Stunden war ich durch Schüttelfrost und hohes Fieber schachmatt gesetzt.
Die Kapellen-Episode forderte scheinbar ihren Tribut. Ich schaffte es noch bei Jack abzusagen und dann ins Bett zu kriechen. Den Rest des Tages dämmerte ich zähneklappernd durch unruhige Fieberträume.
Ab und zu sah Fabio nach mir, ab und zu Shiro und einmal besuchte mich Anna, um zu fragen, ob sie irgend etwas für mich tun könnte.
Doch ich brauchte einfach nur Ruhe und Schlaf, also tauchte ich erst mal ein paar Stunden ab.
Aber wahrscheinlich war es nicht nur die Kapelle, die mich auf die Bretter schickte. Die ganze Feier hatte Spuren hinterlassen. Tiefsitzende.
Valentina beispielsweise. Zwar war mir klar gewesen, dass wir ein angespanntes Verhältnis hatten, aber eine solch eindeutige Ablehnung tat dann doch weh. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das war neu.
Ganz im Stillen schien sie eine Entscheidung getroffen zu haben, eine, bei der ich gewissermaßen auf der Strecke geblieben war. Eiskalt.
Das musste ich erstmal verarbeiten und letztendlich auch
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